Rauhfaserkunst

Frottier ist mehr als der Stoff aus dem Schlafanzüge sind. Herr Linzner macht daraus anderes  ■ Von Marcellus Gau

Andreas Linzner ist Künstler. Kein Fetischist. Selbst wenn es auf den ersten Blick danach aussieht. In seinem kleinen Laden in der Juliusstraße türmt sich Praktisches und Künstlerisches aus Frottier. Gerade präsentiert er eines seiner liebsten Stücke, und was er sagt, klingt ein wenig wie ein Geständnis. „Das ist das, woran ich mit ganzem Herzen hänge“. Zärtlich hält er einen Penis aus Frottier in der Hand. „Frottier-Pimmel“, heiße das Ding, sagt er, und in der Glasvitrine an seiner Seite tummeln sich noch sechs weitere Frottier-Pimmel und eine einsame Frottier-Möse. Ein Frottier-Genital kostet 30 Euro. Gewiss nicht billig. Aber es seien eben Unikate. Jeder seiner Pimmel sei anders, sagt Linzner.

Die abendländische Frottier-Geschichte feiert ihre Anfänge in Stockport bei Manchester im Norden Englands. Auf einer seiner zahlreichen Geschäftsreisen nach Konstantinopel entdeckt der englische Webereifabrikant Henry Christ aus Stockport eine neue Webart mit großen Schlingen. Nach dieser Vorlage fertigt er um 1850 erstmals Handtücher an. 1856 stellt Carl Heinrich Schiffner den ersten Forttierwebstuhl in Deutschland auf. 1892 entstehen die ersten Bademäntel. Nach den Bädern erobert der Webstoff die Schlafzimmer. Seit 1960 sorgen Schlafanzüge aus Frottier für erhöhten Hautabrieb. Und schließlich im Herbst 2000: Der Frottier-Pimmel.

Zunächst wird der Stoff „Plüsch“ genannt. Seinen heutigen Namen verdankt es der Bedeutung des französischen Wortes „frotter“. Gemeint ist damit die Stimulation der Blutzirkulation durch das Berubbeln der Haut. Der Rubbel-Effekt ist der Grund für Linzners Faszination. Frottierstoffe nutzen sich ab und werden dadurch zum Zeugnis alltäglicher Beanspruchung. Die Spuren der Berubbelung menschlicher Haut dokumentiert sich in abgescheuerten Flächen.

In seinem Verkaufsatelier stapeln sich zusammengesammelte und liebgewonnene Frottier-Handtücher. Inzwischen verwendet er auch Meterware, angefangen habe aber alles mit den Handtüchern, aus denen er allerlei Kuscheliges wie Osterhasen und Elefanten geschneidert habe. Die Idee entstand während seiner Schneiderausbildung. Bei der Suche nach neuen Materialien unternimmt er Experimente mit Frottier. Nach der Gesellenprüfung studiert er Modedesign in Hamburg. Hier wird die Idee zur Vision: Die eigene Kollektion. Dafür arbeitet Linzner halbtags. Die restliche Zeit fröhnt er dem Stoff seiner Leidenschaft. Zwei Jahre geht das so.

Am 4. November 2000 eröffnet Linzner sein „Atelier für Forttier“, Elefant und Hase finden ein Zuhause. „Mit dem Laden ging ein Traum in Erfüllung“, sagt er. Während andere Leute ihre Träume in Satin oder Seide erleben, träumt Linzner von Stoffen mit großen Schlingen. Eine Bettwäschekollektion sei in Planung. Unterwäsche in Rubbelfaser trage er zwar noch nicht. Doch mindestens ein Teil seiner Kleidung muss aus Frottier sein. Ein Pullover, darüber trägt er eine Weste mit Reißverschluß. Beides Frottier. „Es ist wie Fleisch und Blut geworden“, gesteht er. Mit sanfter Hand fährt über die Stoffe: „Mich faszinieren die Farben, die Muster und die Schlingen“. Linzner behandelt das Forttier-Handtuch mit dem gleichen Respekt, wie der Maler ein wertvolles Pigment oder der Bildhauer den rohen Marmorblock. „Das Handtuch ist viel mehr als ein herkömmöiches Handtuch, es ist Rohstoff“. Das Kunstwerk entsteht aus der Komposition harmonisierender Muster. Er hält zwei Tücher mit Rosenmuster aneinander und demonstriert so, was er meint. „Das ist schön“, haucht er.

150 Jahre nachdem sich Europäer erstmals mit Frottier berubbeln durften, macht Linzner das Berubbelte zum Rubbelnden. Mit Spannung erwartet Hamburg den Frottier-Arsch.