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Zurück zu den europäischen Wurzeln

1934 wurde die jüdische Zeitung „Aufbau“ in New York von deutschen Emigranten gegründet – in dieser Woche bezieht die erste Korrespondentin der Traditionszeitung ihr Büro in Berlin-Wedding. Das Blatt mit einer Auflage von 10.000 versteht sich als Plattform für alle Richtungen des Judentums

von PHILIPP GESSLER

Wenn – sagen wir – der Hanauer Anzeiger mit einer Auflage von etwa 22.000 ein Korrespondentenbüro in Berlin eröffnete, würde das selbst Medienfreaks bestenfalls ein Gähnen entlocken. Unwahrscheinlich auch, dass eine wackere Korrespondentin aus dem Hessischen sogleich Interviews bekäme mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Bestseller-Autor Bernhard Schlink, ja sogar Bundespräsident Johannes Rau ein Grußwort schriebe.

Doch beim Aufbau ist es so: Diese Woche bezieht die erste Berliner Korrespondentin von „America’s only German-Jewish Publication“ mit einer Auflage von 10.000 ihr Büro im schmuddeligen Bezirk Wedding – und Landesvater, Großautor und Staatsoberhaupt stehen Irene Armbruster zur Verfügung. Ja, sie werde fast überrannt von Kolleginnen und Kollegen, die über ihr Blatt schreiben wollen, klagt die Aufbau-Journalistin kokett.

Warum gibt es diesen Medienhype? Weil der Aufbau mit einer Tradition glänzen kann, die selbst der Zeit oder der FAZ zur Ehre gereichen würde: Gegründet von deutschen Emigranten 1934 in New York, schrieben für die einstige Vereinszeitung der geflohenen Juden am Hudson viele der hellsten Köpfe Deutschlands: Thomas Mann, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt, Franz Werfel und Stefan Zweig. Wenn der Aufbau in die einstige Reichshauptstadt kommt, ist dies eine Art Rückkehr, ein weiterer Schritt auf dem Weg der Renaissance des Judentums in Deutschland.

Wunderbar passt dazu die leere Vierzimmerwohnung, in der zwei Handwerker gerade auf dem Dielenboden eine Schiebewand zusammenschrauben. Mit Sinn für Publicity lehnt sich die 33-Jährige für ein Foto an einen frisch gestrichenen (doch schon getrockneten) Secondhand-Stuhl. In fünf Jahren, erzählt sie mit dunklen Rändern unter den Augen, will der Aufbau seine Auflage verdoppeln – auf 20.000 Stück alle zwei Woche also. Die Gründung des Berliner Büros und ein „Relaunch“ des gestalterisch eher biederen Blattes im April sollen dazu beitragen.

Die geplante Auflagensteigerung ist überlebenswichtig für das Traditionsblatt, das bis vor kurzem, ganz wörtlich, eine sterbende Zeitung war: Je größer die Zahl der Todesanzeigen von deutschen Emigranten im Blatt war, desto stärker sank die Auflage: Lasen einstmals etwa 60.000 Menschen die Zeitung, waren es am Ende nur noch etwa 5.000. Vor anderthalb Jahren aber übernahmen die verbliebenen Mitarbeiter der Zeitung das Blatt – die Schwarzwälderin Irene Armbruster, Redakteurin beim Burda-Magazin Das Haus, war als Praktikantin dabei. Und sofort Feuer und Flamme.

Kann diese Begeisterung auch die Auflage steigern? In New York können die Nachfahren der deutsche Emigranten immer weniger Deutsch – und nur vier von 20 Seiten in der letzten Ausgabe waren auf Englisch. Diesen Anteil will man nun auf mindestens 40 Prozent ausweiten. Aber reicht das, um jüdische New Yorker deutscher Abstammung für das Leib- und Magenblatt ihrer Vorfahren zu interessieren? Die offiziell etwas mehr als 100.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland können eher Russisch als Englisch: Woher also die Hoffnung, dass für eine kleine Special-Interest-Zeitung aus der Alten Welt neues Leben kommt?

Die New Yorker Juden „der zweiten und dritten Generation“, so sagt die Aufbau-Korrespondentin, suchten derzeit verstärkt nach ihren europäischen Wurzeln. Viele von ihnen hätten Karriere gemacht und einiges mit der Heimat ihrer (Groß-)Eltern zu tun. Deshalb schauten sie „sehr genau auf Deutschland“, wollten viele Informationen von dort. Und hierzulande wolle man Leute ansprechen, die Interesse hätten an traditionellen Aufbau-Themen wie Judentum, Holocaust, Exil, Menschenrechten, Identität, multiethnisches Zusammenleben – und nicht zuletzt New York.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Die Jüdische Allgemeine, herausgegeben vom Zentralrat der Juden in Deutschland, hat sicher nicht ganz zufällig ebenfalls ihr Äußeres mit Farbdruck und neuen Rubriken aufgefrischt. Geschäftsführer Michel Friedman, zugleich Vizepräsident des Zentralrats, begrüßt öffentlich zwar die Bemühungen des Aufbau – unverkennbar aber ist, dass das traditionell liberale Blatt der Allgemeinen mit einer ebenso kleinen Auflage von 15.000 Probleme bereiten könnte: Schließlich steht der Zentralrat und auch die Allgemeine eher dem orthodoxen Judentum nahe, viele liberale Juden sehen sich in ihr nicht angemessen vertreten. Kaum überraschend deshalb, dass ausgerechnet Julius Schoeps als deutscher Herausgeber des Aufbau fungiert. Sein Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam steht in engem Kontakt mit der „Union progressiver Juden“, die Zentralratsmitglieder als Konkurrenz für ihre eigene Dachorganisation begreifen.

Irene Armbruster aber will sich nicht in diese innerjüdischen Querelen hineinziehen lassen: Der Aufbau verstehe sich als „Plattform“ für alle Richtungen des Judentums, sagt sie, keinesfalls als „Mitteilungsorgan irgendeiner Gruppierung“. Vielleicht hilft ihr dabei, dass sie solche Flügelkämpfe gelassen von außen betrachten kann: Irene Armbruster ist katholisch.

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