salt and pepper
: Im Land der tausend Checkpoints

Mach uns den bösen Cop!

Wer dieser Tage einen Flug nach Salt Lake City absolviert, wird feststellen, dass die Sicherheitsbehörden in den USA endlich das ideale Mittel gegen Entführungen gefunden haben: Jeder Passagier muss einfach auf seinem Sitz hocken bleiben. Denn, so der scharfsinnige Gedanke, wer in diesen engen Konstruktionen eingeklemmt ist, kann unmöglich ein Verbrechen begehen. In der letzten halben Stunde vor dem Anflug auf die Olympiastadt darf niemand mehr aufstehen, alle Insassen müssen sich sogar anschnallen. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, einfach drei schwer bewaffnete Geheimagenten in jede Maschine zu setzen. Auch daran hat man gedacht, wie sich jetzt herausstellte. Natürlich konnte es nicht lange dauern, bis der erste Fluggast die „Nimm-Platz-Regel“ missachtete: ein Erste-Klasse-Passagier aus Park City, der sich zur Toilette aufmachte, den Anweisungen der Stewardess nicht sofort Folge leistete, sich dann hinsetzte, aber immer noch Widerworte fand. Schon standen die drei besagten Agenten auf der Matte, sämtliche Passagiere mussten bis zur Landung die Hände auf dem Kopf behalten und geradeaus gucken. Der renitente Klogänger verbrachte eine Nacht im Knast und kann sich wegen Gefährdung der Flugsicherheit laut Gesetz bis zu zwanzig Jahre Knast oder 250.000 Dollar Geldstrafe einhandeln. That’s America.

Bei den umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen der Olympischen Spiele ist auch sonst nicht immer genau zu erkennen, wo es sich um pure Show der Marke „Wir haben alles im Griff“ handelt und wo es Sinn macht. Natürlich könnte jemand in Mafiamanier eine Sprengladung unter einen Bus pappen, aber ob es deswegen angebracht ist, jeden Bus, der nach Soldier Hollow zum Langlauf fährt, in einem Checkpoint zu untersuchen, darf bezweifelt werden. Sicher ist, dass Regeln in den Staaten dazu da sind, befolgt zu werden. Was passiert mit einem Bus, dem auf dem Weg zur Männerabfahrt eine Plakette fehlt? Keine Chance – und wenn der gesamte Verkehr zum Erliegen kommt. Als Organisationschef Mitt Romney das Problem löste, indem er persönlich für die Insassen des Busses, alle mit gültigen Akkreditierungen, bürgte, hatten sich schon 75 Busse gestaut und stand der Wettkampf kurz vor dem Beginn.

Zu bedauern sind die armen volunteers. Als sie sich freiwillig zum Olympiadienst meldeten, hatten sie bestimmt nicht gedacht, dass ihre Aufgabe darin bestehen würde, in den Taschen fremder Personen herumzuschnüffeln, eine Tätigkeit, die sie im privaten Leben vermutlich verabscheuen. Das schlechte Gewissen versuchen die meisten mit gewinnendem Lächeln, andere mit hoch offizieller Böser-Cop-Miene zu kompensieren. Es lächelt sich aber auch schlecht, wenn man dem Gegenüber mit einem Metalldetektor zwischen den Beinen herumfuchtelt.

Der Kontrollen gibt es viele, und die meisten bekommen die Olympiagäste wahrscheinlich nicht mal mit. Niemand weiß, wie oft sein Gesicht von Überwachungskameras erfasst und nach dem Sofort-Check-System der US-Behörden darauf geprüft wird, ob es nicht zufällig dem eines gesuchten Terroristen ähnelt. Mitt Romney selbst hat die Frage aufgeworfen, ob es bei Aufwendungen von über 300 Millionen Dollar für die Sicherheit überhaupt noch Sinn mache, sich für Olympia zu bewerben, zumindest für die USA.

Fragen könnte man auch, ob es Sinn macht, solche Spiele auszurichten. Alles, was die Organisatoren in Atlanta und Sydney noch als unmöglich ablehnten, weil es dem fröhlichen Geist der Spiele abträglich wäre, wird in Salt Lake City praktiziert. Nicht nur Wettkampfstätten, Pressezentren und VIP-Hotels sind eingezäunt wie Kasernen, sondern auch die Plätze, Parks und anderen Stätten, an denen das Unterhaltungsprogramm stattfindet. Wer auf dem Washington Square die Beach Boys „Good Vibrations“ trällern hören wollte, musste erst ausgiebig vor den Securitychecks in der Kälte bibbern, ebenso jene, die auf der Medal Plaza die Foo Fighters oder Barenaked Ladies samt Siegerehrung sehen wollen. Im olympischen Dorf erklärten griechische Sportler, sie fühlten sich wie im Knast und würden bald einen Tunnel graben, das Hotel „Little America“, in dem die IOC-Mitglieder wohnen und das zu ihrem Leidwesen nur vier Sterne hat, gleicht einem britischen Militärposten im Belfast der Siebzigerjahre.

Schlangestehen und Kontrolliertwerden, das sind für Zuschauer, Medienvertreter, Funktionäre und Sportler derzeit die zentralen olympischen Disziplinen, dennoch sind die meisten nicht nur verständnisvoll, sondern auch wild entschlossen, sich trotzdem zu amüsieren. Ein Modell für die Zukunft kann diese Art Olympia jedoch kaum sein. Entweder die Welt wird besser, oder man muss es eines Tages einfach lassen. MATTI LIESKE