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daniela böhle über AlltagEin Wertpapier vom anderen Stern

Telefonische Umfragen kosten nicht nur Zeit – man kann auch mal was gewinnen

Angefangen hat alles mit einer Umfrage. Grad eine Woche vorher hatte sich Frau Schneider aus dem vierten Stock darüber beklagt, dass die alten Leute hier im Haus neuerdings mit Anrufen irgendwelcher Meinungsforschungsinstitute belästigt würden. Prompt rief eine Woche später auch bei mir ein Meinungsforschungsinstitut an. Eigentlich wollte ich sofort auflegen, aber dann siegte mein weiches Herz. Das Mädel am anderen Ende klang so jung und freundlich. „Welches Verhältnis haben Sie zu Aktien?“

Also nein, Aktien interessieren mich nicht, null. Ich habe keine Aktien und auch kein Kapital, das ich anlegen könnte. Nein, ich informiere mich nicht über Aktien, habe ich auch noch nie getan.

An dieser Stelle kam die junge Frau etwas in Schwierigkeiten. „Und wenn Sie sich für Aktien interessieren würden“, fragte sie, „für welche würden Sie sich interessieren? Und wo würden Sie sich informieren?“

„Nee“, habe ich gesagt, „darüber will ich mir nun wirklich keine Gedanken machen.“ Hat sie akzeptiert.

„Sie nehmen automatisch an einer Verlosung teil“, sagt sie zum Schluss. Ich habe gelacht und das für einen Witz gehalten.

Klar, was passierte: Vorgestern bekam ich einen Anruf. Sabine Krüger von ich weiß nicht welcher Firma. „Hallo, Frau Böhle“, zwitscherte sie durchs Telefon. „Ich habe die Freude, Ihnen mitteilen zu können: Sie haben gewonnen!“

„Aha“, sagte ich. Ich war beunruhigt.

„Sie haben an einer Umfrage teilgenommen und automatisch an einer Verlosung teilgenommen!“

„Aha“, sagte ich wieder.

„Ja!“, zwitscherte sie, „herzlichen Glückwunsch!“

„Was denn gewonnen?“, fragte ich.

„Ein historisches Wertpapier!“, rief sie.

Ich wusste nicht mal, was das ist. „Und wo ist der Haken?“

„Kein Haken, Frau Böhle“, zwitscherte Frau Krüger, „sonst würde ich doch so was gar nicht machen.“ Darüber musste ich bei aller Besorgnis fast lachen.

„Und jetzt?“

Frau Krüger besaß genug Enthusiasmus für uns beide zusammen. „Wir machen am besten einen Termin aus, damit ich Ihnen das historische Wertpapier übergeben kann!“

„Und wie lang soll das dauern? Ich habe nicht viel Zeit. Nie.“

„Eine Viertelstunde“, flötete sie, „höchstens!“

Okay, das war akzeptabel.

Sie kam auf die Minute pünktlich und war das, was man adrett nennt. Sabine Krüger sah in ihrem Kostüm so sauber aus, dass ich mich fragte, wann ich das letzte Mal die Küchenstühle abgewischt hatte. Ich konnte ihr unmöglich sagen: Spielen wir doch Stehparty, das passt auch besser zum Anlass. Ich habe sie allerdings beim Abschied inspiziert und keine Flecken an ihr entdecken können. Das lag vielleicht nicht an meinen sauberen Küchenstühlen, möglicherweise sind Menschen wie sie wasserabweisend und antistatisch, möglicherweise werden Menschen wie sie nicht einmal schmutzig, wenn sie es drauf anlegen. Vielleicht sah sich Sabine Krüger im Kino Filme mit Sexszenen an, in denen die Frauen so herrlich verwüstet aussehen, und beneidete sie, weil sie auch nach der wildesten Nacht – ich will nicht völlig ausschließen, dass Sabine Krüger so etwas kennt – ordentlich frisiert und nach Seife riechend wirkt und damit jeden Mann zur Verzweiflung treibt.

So machte ich mir Gedanken über Sabine Krügers Liebesleben, was mir über ihre Erzählungen über Aktien und Fonds hinweghalf. Das Wort Fond kannte ich nur im Zusammenhang mit Essen. Meine Mutter benutzt immer Wildfond, wenn sie Hasenrücken macht. Als sie – Sabine Krüger, nicht meine Mutter – am Ende angekommen war, sie war unheimlich korrekt und hielt sich genau an die Viertelstunde, übergab sie mir das historische Wertpapier.

„Und was mache ich damit?“, fragte ich sie.

„Da gibt es zahllose Möglichkeiten“, sagte sie beherzt, doch so viele fielen ihr dann doch nicht ein. „Da kann es zu immensen Wertsteigerungen kommen“, sagte sie schließlich, „vererben Sie das Wertpapier zum Beispiel ihren Kindern.“

An dieser Stelle musste ich sehr lachen. Ich bedankte mich und brachte sie zur Tür. Nett, dass sie sich die Mühe gemacht hat und von diesem anderen Stern zu mir gekommen ist.

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