Die Uni des Propheten

Keine importierten Imame mehr – die Geistlichen könnten ab 2003 in Hamburg ausgebildet werden

von YASSIN MUSHARBASH

Ab dem nächsten Jahr, hofft Wolfram Weiße, denkt bei den Stichworten Hamburg und Islam niemand mehr an Muhammad Attas Terror-WG in der Marienstraße. 2003 nämlich soll in der Hansestadt eine „Akademie der Weltreligionen“ entstehen: Lehrstühle für buddhistische, jüdische und islamische Theologie sollen an einem einzigen Institut zusammengefasst werden. Die Hoffnung des Erziehungswissenschaftlers und Theologen Weiße ist berechtigt – denn was er und seine Mitstreiter planen, ist eine Revolution: Wird das Projekt Wirklichkeit, könnten sich Muslime zum ersten Mal in Westeuropa zu Vorbetern, Theologen oder Religionslehrern ausbilden lassen. Vorbei wären die Zeiten, da jeder Koranlehrer eigens aus der Türkei oder der arabischen Welt importiert werden muss.

Aber noch ist die Realisierung des Projekts nicht gesichert. Vor allem die Finanzierung ist unklar. Die Initiatoren wollen deswegen zunächst bei verschiedenen Stiftungen um Unterstützung bitten, denn die Hamburger Universität hat, bei aller Unterstützung für die Akademie, klargestellt, dass keinesfalls an anderen Fakultäten zugunsten der Akademie gekürzt wird.

Das naheliegendste Modell wäre also, Stiftungsprofessuren einzurichten. Das hätte zusätzlich den Vorteil, dass die Akademie flexibler organisiert werden könnte. Auch mit dem im September 2000 neu gewählten Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger werden Gespräche geführt werden. Bisher haben alle Parteien und die beteiligten Religionsgemeinschaften die Akademie einhellig unterstützt.

Nach zwei Symposien in den Jahren 1999 und 2000 hat die Akademie bereits Konturen angenommen. Klar ist: Die künftigen Studenten sollen einen Magisterabschluss erringen und an den jeweils anderen beiden Lehrstühlen Kurse besuchen können. Und alle Professuren müssen nach streng akademischen Regeln und völlig unabhängig von den Glaubengemeinschaften vergeben werden.

Wie aber kann angesichts der Vielfalt der islamischen Glaubenswelt überhaupt ein Professor gefunden werden, den alle potenziellen Studenten akzeptieren? „Man wird nicht vermeiden können, dass einige sich aus Glaubensgründen verprellt fühlen“, ahnt Weiße. Schon jetzt deuten sich Konflikte an: Die Schura, ein Bündnis von 48 Hamburger Moscheegemeinden, dessen Führung von der islamistischen Milli Görüs dominiert wird, hat bereits ein Mitspracherecht bei der Berufung angemahnt. Die Initiatoren erwägen deshalb, den verschiedenen Strömungen durch Professuren nach dem Rotationsprinzip entgegenzukommen. Aber werden sunnitische Studenten auch in jenen Semestern Scheine machen wollen, in denen ein Schiite unterichtet?

Man dürfe nicht unterschätzen, dass junge StudentInnen ihre Ansichten ändern und Toleranz erlernen können, sagt Weiße. Letztlich, das weiß auch Weiße, ruhen die Hoffnungen darauf, dass sich mehr aufgeschlossene Studenten als Betonköpfe einschreiben. Um zu einem Sammelpunkt des fortschrittlichen Islam zu werden, braucht die Akademie eine kritische Masse solcher Studenten.

Angesichts von 18 Millionen Muslimen in Westeuropa herrscht übrigens in allen Lagern Einigkeit darüber, dass ein solches Experiment dringend nötig ist. Weiße und die anderen Initiatoren hoffen, schon in wenigen Monaten ein endgültiges Signal zur Gründung der Akademie geben zu können. Bei all der Aufregung um den Islam-Lehrstuhl droht unterdessen manchmal unterzugehen, dass die Akademie der Weltreligionen der erste Ort in Europa wäre, an dem Buddhismus, Islam und Judentum zugleich vermittelt würden.

In dieser Konzeption liegt eine weitere Chance verborgen: Islamisten verlangt es nach kaum etwas mehr als nach der offen sichtbaren Gleichstellung mit anderen Religionen. Die Akademie der Weltreligionen würde den antiintegrativen Imamen der Hinterhof-Koranschulen ihr gewichtigstes Argument nehmen: dass islamisches Leben in Deutschland unmöglich sei.