Der Schatten der Firma

■ Ökonomie und Zwischentöne: Laurent Cantets Ressources humaines im 3001

Sie kann sich zehnmal „sozial“ nennen, in der Marktwirtschaft ist der Mensch, abgesehen von seiner Arbeitskraft, zuallererst ein Kos-tenfaktor im Betrieb. Dessen Kalkulation ist so schlicht wie kaltschnäuzig: Je geringer, desto besser. Unternehmen kaschieren diese Gleichung gerne mit wohltönender Rede zur „Standortpolitik Deutschland“, „Arbeitsplatzsicherung“ und „Wettbewerbsfähigkeit“. Kanzler, Kandidaten und Gewerkschaften greifen solche Schlagworte entschlossen auf, und am Ende scheinen alle das Gleiche zu wollen – zum Wohle des tätigen Volkes. Aber, wie einst ein weiser Elefant bemerkte: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“

Mit scharfem Blick und spitzem Stift rechnet Laurent Cantet in seinem Debüt Ressources humaines vor, wie wenig eine Belegschaft zu erwarten hat, lässt sie sich ein auf Zugeständnisse an das Unternehmen, in Annahme einer gemeinschaftlichen Interessenlage. Der Film ist ein Gewerkschaftsfilm, wie er so wahrscheinlich nur in Frankreich entstehen konnte. Weit entfernt von der pädagogischen Hemdsärmeligkeit des zeitgenössischen britischen Working Class-Genres, weit entfernt auch von allem, was das Thema unter hiesigen Bedingungen bieten könnte. Ein ver.di-Film? Mit Gastauftritten von Grass und Biermann? Gruslige Vorstellung. Cantet umschifft drohende Schwarz-Weiß-Malerei und Pathos, indem er sein politisches Anliegen dort einbettet, wo Zwischentöne und Emotionen unabdingbar sind: im Familiendrama.

Der BWLer Frank kehrt für ein Managementpraktikum zurück ins Elternhaus und in die Firma, in der sein Vater seit dreißig Jahren dieselbe Stanzmaschine bedient. Mama und Papa platzen vor Stolz über ihren Filius, der im Anzug nach Pariser Schnitt nicht die Werkhalle, sondern die Büros im ersten Stock betritt. Frank scheint akkurater Platzhalter der strapazierten Parole „Unser Kind soll es einmal besser haben“. Seine Meinung zur 35 Stunden-Woche bleibt unverbindliches Geschwurbel, in seinem Büro brennt auch spätabends noch Licht, die smarte Karriere bahnt sich an. Derweil unterwirft sich der Vater bis zur Selbstverleugnung den betrieblichen Hierarchien, in denen der Sohn bald nach oben klettern soll.

Aber Frank hat ein paar Flausen im Kopf. „Betriebliche Mitbestimmung“, „Belegschaftsreferendum“, „Sozialverträglichkeit“, all das hat er an der Uni gelernt. Von den grantelnden Kommunisten aus dem Betriebsrat erntet er für solch heuchlerische Verrenkungen nur Verachtung, und die Arbeiter bleiben misstrauisch. Einzig die Chefs sind restlos begeistert, denn Franks Basisbefragung verschafft ihnen ein willkommenes Alibi für weitere „Rationalisierungsmaßnahmen“. So selbstverständlich, wie sie den Vater dabei an die Luft zu setzen gedenken, so selbstverständlich schlagen sie dem Sohn die Tür vor der Nase zu, sobald es an die Präsentation der Pläne vor den Bossen der Bosse geht.

Cantet gelingt es im Folgenden, Franks Solidarisierung mit den arbeitenden Kolleginnen und Kollegen auf denkbar nüchterne Weise zu erzählen, von Proletenkitsch keine Spur. In der bewegendsten Szene des Filmes schreit Frank sich den Frust über die eigene Naivität, zerstörte Karriereträume und Scham von der Seele. Dadurch beleidigt er ausgerechnet jene Menschen, die ihm am stärksten vertrauen. Der Regisseur leitet solche Reaktionen wohlgemerkt nicht aus einem korrupten Charakter ab, sondern aus der ökonomischen Ordnung, die zu solchen Deformationen führt. Gegen sie ist Widerstand perspektivlos. Dass Frank nach nächtlichem Plakatieren die Eingangstür der Firma zuschweißt, bleibt kurzfristiger Aktionismus. Am nächsten Morgen tritt der Chef die Scheiben ein. Die Arbeiter sammeln die Scherben auf.

Urs Richter

 täglich (außer Fr), 20.30 Uhr, 3001