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Lexikon des Körpers

Die walisische Choreographin und Tänzerin Sioned Huws mit der Uraufführung von Dear Body auf Kampnagel  ■ Von Christian T. Schön

1.) „Körper“: allgemein: sinnlich erfassbare, räumliche Gestalt. Gegenteil: Geist.“ – Geliebter Körper, dich lass ich nicht mehr los, mich lässt du nicht mehr los. Warst du zuerst da? Oder war es der Geist?

Mit der Uraufführung von Dear Body ist die junge walisische Choreographin und Tänzerin Sioned Huws als Schlusspunkt der „Zeig mir den Fleisch!“-Reihe auf Kampnagel zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.

In London und Wales hat sie sich mit ihren großen Produktionen Cor Meibion (1997), Lliw lili und Sea Stones (beide 1998) bereits einen Namen gemacht. 1999 – anlässlich eines Tanz-Stipendiums in C.e.n.t.a. in Portugal – wandte sie sich wieder dem Solo-Tanz zu, mit dem sie 1989 bei Merce Cunningham in New York begonnen hatte. In verschiedenen europäischen Staaten entstand so die bislang vierteilige Solo-Serie Forgett, und seit einigen Wochen arbeitet sie auf Kampnagel intensiv an der Choreographie zu Dear Body. Die eigentliche Grundlage für diese Performance, so Huws, liefert der lebenslange Erfahrungsschatz ihres Körpers: „Der Körper, den ich habe, ist doch der Körper, in dem ich schon immer gelebt habe. Ich lebe und arbeite in ein und demselben Körper.“

2.) „Geometrie: Teil des Raums, der von Flächen begrenzt wird. Sind die Begrenzungsflächen Ebenen, spricht man von geradlinigen Körpern.“ – Der Raum ist der Ausgangspunkt von Sioned Huws' Werk: „Es ist immer eine Person und ein Raum. Der Anfangspunkt der Körper, der Körper ein Punkt, ein Punkt ein Raum. Sich diesen Punkt bewusst machen, den Anfang.“ Sobald ein Mensch den Raum betritt, beginnt dieser zu leben. Ein Schemel, ein Tisch und eine Leiter stehen auf der kargen Probebühne. Das sind die einzigen Requisiten für Dear Body, die – wie Huws es nennt – in „Dialog mit Objekten, Raum, Licht und Zuschauer“ treten.

„Ich sehe einen Zusammenhang zwischen der choreographischen Arbeit und architektonischen Konstruktionen“, erläutert Huws ihren Arbeitsprozess, „die es mir erlauben, einen rationalen Zugang zur Komposition meiner Bewegungen zu erhalten. Ich kann einzelne Bewegungen verbinden und sie wieder in unabhängige Teile dekonstruieren, die dann ein Eigenleben fortführen.“

Erstmals wird Sioned Huws in Dear Body auch Ton verwenden: das Geräusch des Körpers in Bewegung, in Relation zum Raum. „Ich habe viele Arbeiten gemacht, nur ich und der Raum. Ich verwandte keine Musik, weil ich in direkten Kontakt mit dem Publikum treten und keine Distanz schaffen wollte.“ Jede Bewegung erzeugt ein charakteristisches Geräusch. Indem Huws jetzt Ton verwendet, wird jede Bewegung, jedes Geräusch Erinnerungsbilder im Betrachter und Zuhörer wachrufen und ihn somit zum Teil des Tanzes werden lassen.

3.) „Biologie: durch feste Ordnung (Körperbau, Struktur) gekennzeichnete Materie jedes Lebewesens; zusammengesetzt aus Zellen, die bei höheren Lebewesen Gewebe und Organe bilden.“

Der menschliche Körper ist ein allgegenwärtiges Thema in künstlerischen Arbeiten und Kontexten, erst recht im Tanz. Wie kann man dem Thema da immer noch etwas Neues entlocken? Sioned Huws: „Du kannst all deinen Besitz fortwerfen, deine Zigarette, deine Stühle und Tassen, aber du kannst dich nicht von deinem Körper trennen. Du kannst einen Menschen nicht von seinem Körper loslösen.“ In ihrem Konzept zu Dear Body schreibt Sioned Huws: „Der Körper ist eine Konstruktion aus Knochen, eine emotionale Struktur, die sich in der Welt in Auseinandersetzung mit anderen Dingen befindet. Die Muskeln reagieren auf Gedanken, jeder Gedanke ist begleitet von einem Gefühl.“ Für ihren Tanz, sagt sie, ist es „die Idee des Gedanken“. „Jeden Tag lassen wir unzählige Gedanken an uns vorüberziehen, bis wir einen herauspicken. Genauso kannst du unzählige Bewegungen passieren lassen, bis du dich zu einer entscheidest und sie ausführst.“ – Womit der Körper schließlich doch mehr als das lexikalisch definierte Gegenteil von Geist wäre. Und, als wäre das die Zusammenfassung des bisher Gesagten, sagt Sioned Huws: „It's about just doing, and saying this is.“

Freitag und Samstag, jeweils 20 Uhr, Kampnagel

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