Gottes Geld geht um die Welt

Die christliche Zeitschrift „chrismon“ entdeckt den Kapitalismus als Religion und im Gewinnstreben neuen Sinn

Es ist was im Gange, es tut sich was! „Die verantwortungsvolle Geldanlage schickt sich an, auf den Massenmarkt vorzudringen“, teilt die Januarausgabe des evangelischen Monatsmagazins chrismon per Titelgeschichte mit und schickt dem „Wohlstandsbürger von heute“ die Gratisfrohbotschaft hinterher, diese fabelhafte Entwicklung entbehre nicht einer gewissen Logik und sei demzufolge „kein Wunder, denn sie beruhigt das Gewissen und verleiht dem Gewinnstreben neuen Sinn“, ja sie schlage „eine Brücke zwischen Gewinnstreben und Lebenssinn“ und verspreche – höre, staune, schweige – „finanzielle Wellness“.

„Die moderne Gesellschaft“, heißt es in einem Buch aus dem 19. Jahrhundert, „begrüßt im Goldgral die glänzende Inkarnation ihres eigensten Lebensprinzips.“ Wo das Leben nicht mehr lebt und man auf das Versprechen eines jenseitigen Daseins keine großen Gewinne mehr erzielen kann, wo an die Stelle der je besonderen Bedürfnisse und „des stofflichen Reichtums“ des gesellschaftlichen Verkehrs so sehr wie an die Stelle des Glaubens an ein Höheres als den schnöden Mammon das reine, durch nichts beschränkte Profitstreben getreten ist, schöpfen die nicht länger erlösungsbedürftigen Seelen in einer Welt ohne Wunder ihren Reichtum aus dem neuen Sinn des Raffens ohne Reue, des Scheffelns ohne Schaden, der, so schwärmgeistert chrismon, „Rendite im Einklang mit den Überzeugungen des Anlegers“.

Mögen die Überzeugungen lautere sein, der Investor wie du und ich folgt lediglich seiner zweiten gesellschaftlichen Natur, der Gier. „Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur aus maßlos“, sagt unser Buch aus dem 19. Jahrhundert, und die vom Trieb der Geldanhäufung blind gesteuerte „Sisyphusarbeit der Akkumulation“ kennt in ihrer schlechten Unendlichkeit kein Ende. Der Philosoph Walter Benjamin fand für solche selbst auferlegte Fron die Formel „Kapitalismus als Religion“.

Kein Wunder, Tatsache ist: „Der Schatzbildner“, fährt unser Buch aus dem 19. Jahrhundert fort, „opfert dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung.“ Er rackert und ackert unterm Bannfluch dessen, was der Soziologe Max Weber die „protestantische Ethik“ nannte: die permanente Verausgabung zugunsten des Geldgewinns, die nicht zu brechende Disziplin zuungunsten des guten Lebens.

Doch, es tut sich was, es ist was im Gange, die nächste Stufe des gesellschaftlichen Wahns erreicht – nach der New Economy nun also die Brandnew Economy des blütenweißen Kapitalismus, der Windfonds, ökologische Mischfonds, Kreditvergabe zwecks Heilpädagogik, Alternativbanking und manches mehr im Angebot führt.

Doch, so musste es kommen, und so musste chrismon, das Zirkular für die Zirkulation, die papierene Beratungsstelle für spekulative Nachhaltigkeitsapostel, den neuapostolischen Neologismus „Ethisches Investment“ aufs Panier kritzeln, weil die Fahne im Wind des so genannten neuen „Ethikmarktes“ zu flattern hat, eines Geschäftsfeldes, auf dem nicht bloß Aktien von Windkraftwerksbetreibern, sondern vor allem von windmachenden Chemiekonzernen mit Ökosiegel gedealt und bitte schön gesinnungsethisch befriedigend erworben werden.

Gesinnung und Gewissen sind kaufbar, eine alttestamentarische Einsicht. Gleichwohl stößt chrismon dorthin vor, wo selbst die Relativitätstheorie die Segel strich. Bei nicht konventionellem, ethischem Investment nämlich, orakelt das Blatt, „handelt es sich um eine Art vierte Dimension der Kapitalanlage, in der sich Werte und Überzeugungen des Investors spiegeln“, und bedarf es auch nicht des siebten Sinns, um die grässlichen Ausmaße eines derartigen Gutmenschennarzissmus zu erahnen, so liefert uns die Welt des Geldes, ein Reich nicht von dieser Welt, wenigstens eine letzte, eine eschatologische Pointe, „die fünfte Dimension der ethischen Geldanlage“: „Der Zeitaufwand übersteigt … in der Regel den eines Anrufs beim Anlageberater der Hausbank.“

„Alles wird verkäuflich und kaufbar“, offenbart unser Buch aus dem 19. Jahrhundert. „Die Zirkulation wird die große gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder herauszukommen. Dieser Alchimie widerstehn nicht einmal Heiligenknochen“, knöchelt Herr Marx. „Aber dafür“, tröstet uns chrismon, das evangelische Magazin, abseits des Zauber- und Teufelswerks, „gibt es ja etwas gratis: das behagliche Gefühl, alles richtig zu machen.“ Gott sei Dank.

JÜRGEN ROTH