Kreativität aus Verzweiflung

Selbst im brutalen Mörder steckt eine zarte Pflanze: In Joel Hershmans Film „Greenfingers“ kommt es zu Jät- und Harkexzessen unter britischen Knackis

Es gab eine Zeit, da ging im britischen Kino alles, was irgendwie cool, jung, arbeitslos und komisch war. Der neue Realismus von unten mochte Drogen, Stripper, Fußballfans und Bergarbeiterblasorchester. Insofern fallen auch die Knackis mit Herz, die in Joel Hershmans „Greenfingers“ erstaunlich anmutige Gärten anlegen können, in diese Sparte von proletarischem Fun. Es ist ja auch eine denkbar einfache Konstellation: Der wegen Mordes verurteilte Colin Biggs (Clive Owen) wird zur Resozialisierung in den offenen Strafvollzug nach Edgefield aufs Land verschickt.

Dort verbringen die anderen Langzeithäftlinge ihre Tage mit Fußball oder Malerei, einige machen auch in Fitness, damit der Körper noch ins Leben passt, sollten sie doch einmal vorzeitig entlassen werden. Biggs allerdings zeigt wenig guten Willen und wird zum Kloputzen abkommandiert. Sein alternder Zellengenosse Fergus Wilks (David Kelly) hat Mitleid mit dem Einzelgänger und schenkt ihm Blumensamen, die nach überstandenem Winterfrost zu lila auf dem Bolzplatz leuchtenden Veilchen aufblühen. So ist schon früh ein anrührendes Bild gefunden, das von nun an immer wieder neu in Szene gesetzt wird: Selbst im brutalen Mörder steckt eine zarte Pflanze, die bloß in Freiheit wachsen kann und will.

Tatsächlich findet das Gefangenenteam von nun an Spaß am Gartenbau, legt irrwitzige Beete an und entwickelt sich zu ganz passablen Gärtnern, die sogar die Aufmerksamkeit der höchsten Blumen- und Blütenkritikerin des Vereinigten Königreichs gewinnen. Die mit Helen Mirren angenehm spleenig besetzte Gartenfee Georgina Woodhouse schlägt die Insassen von Edgefield für den Wettbewerb der royalen Hampton Palace Flower Show vor – ganz nach dem Motto: Kreativität durch Verzweiflung. Und auch der Gefängnisdirektor erhofft sich von der Einladung eine bessere Reputation für sein als lasch angefeindetes Reha-Projekt. Es kommt zu Jät- und Harkexzessen, aus tätowierten Killern werden feinfühlige Lupinenspezialisten, und für Biggs fällt dabei auch noch etwas Liebe ab, weil die schüchterne Woodhouse-Tochter Primrose sich für seine „grünen Finger“ entflammt. Als die Beziehung in die Brüche geht, droht auch das Gartenspektakel zu platzen. Dann stirbt Wilks, und man ahnt, dass der Kampf der Außenseiter wieder einmal ohne Hoffnung, aber mit Gewalt und Leidenschaft – also very british – ausgefochten werden soll.

Dass am Ende dennoch ein sozial voll verträgliches Happyend, hier ein paar Tränen und dort ein Gnadengesuch parat hält, ist vermutlich der amerikanischen Herkunft des Regisseurs und seiner Produzenten geschuldet. Guy Ritchie oder Danny Boyle jedenfalls hätten für Schwerverbrecher als finale Pointe niemals eine Audienz bei der Queen eingefädelt. So aber entpuppt sich „Greenfingers“ als Trittbrettfahrerei – es ist, als würde der bislang in sich gebrochene und meist sarkastische Umgang mit britischer Kaputtheit nun hollywoodkompatibel begradigt. Selbst die Knackis benehmen sich irgendwann nicht mehr wie zwangssolidarische Kneipenkumpel, sondern eiern mit ihren privaten Problemen eher wie New Yorker Neurotiker umher. Der britische Film könnte an dieser ausgedacht versöhnlichen Variante des Underdog-Themas dennoch Schaden nehmen: Vom Hardcore-Spaß an „Trainspotting“ oder „Snatch“ ist nur mehr eine Endmoräne übrig geblieben. HARALD FRICKE

„Greenfingers“. Regie: Joel Hershman. Mit Clive Owen, Helen Mirren, u. a., UK/USA 2001, 91 Min.