Eichel schickt blaue Briefe

Der Finanzminister hat in Brüssel die Defizitmahnung abgewendet – und die Daumenschrauben mitgebracht. Der EU-Kompromiss erlaubt ihm, den Bundesländern mehr Sparsamkeit abzuverlangen

von CHRISTIAN FÜLLER

Kaum war am späten Dienstagabend die Debatte um den „blauen Brief“ aus Brüssel beendet, da begann schon der Ärger um die briefliche Defizitwarnung aus Berlin. Darf Hans Eichel, der Finanzminister des Bundes, künftig seine deutschen Länderkollegen abmahnen, wenn sie zu viel ausgeben und Schulden aufhäufen? Eichel meinte mit seinem Brüsseler Versprechen eines ausgeglichenen Haushalts bis 2004 nicht nur sein Bundesbudget, sondern das der Bundesrepublik insgesamt. Das bedeutet, er will die Neuverschuldung der Länder künftig deckeln.

Die Kassenwarte zwischen Kiel und Stuttgart reagierten darauf gestern höchst unterschiedlich: Hamburg und Baden-Württemberg (beide CDU) sagen Ja, Bayern (CSU) will erst nachdenken, während Eichels Parteifreunde Vorbehalte haben. Niedersachsens Finanzminister Heiner Aller (SPD) etwa warnte davor, den Sparkurs zu überziehen.

Bereits heute treffen sich die Finanzminister in Berlin, um das Thema „Nationaler Stabilitätspakt“ zu besprechen. Eine Einigung ist dabei nicht in Sicht. Die Budgetverantwortlichen der Landesregierungen balgen sich nämlich bereits seit mehreren Jahren, wie man innerhalb Deutschlands Ausgabendisziplin erzeugen könnte. Mit der „Brüsseler Gemeinsamen Erklärung“ zur Haushaltslage in Deutschland hat sich Eichel nun nicht etwa eine Mahnung abgeholt, er hat sich Daumenschrauben überreichen lassen – als Zwangsmittel gegen die Bundesländer.

Was Eichel am späten Dienstag wolkig damit umschrieb, das innerdeutsche Defizitabkommen „operativ handhabbar“ machen zu wollen, heißt im Klartext: Der Bundesfinanzminister will über die allgemeinen Sparbekundungen der Länder hinaus Sanktionsmittel in die Hand bekommen – um Haushaltsdisziplin durchsetzen zu können.

Alle bisherigen Versuche, im Maßstäbegesetz und im Finanzplanungsrat Sparsamkeit präzise zu definieren, waren am Veto der Länder gescheitert. Nun, nach der Brüsseler Nacht, freut man sich bei den Finanzplanern der Bundesregierung: „Wir haben jetzt den Fuß in der Tür, um endlich griffige Regelungen für das deutsche Defizit zu bekommen.“

Hans Eichel selbst hatte in Brüssel stolz darauf verwiesen, dass er ohnehin keinen blauen Brief aus Brüssel bekommen hätte – sondern die Länder. In der Tat haben insbesondere große Länder im vergangenen Jahr kräftig neue Schulden geschrieben – Baden-Württemberg 3,5 Milliarden Euro, Nordrhein-Westfalen 10 Milliarden Euro und Bayern 6,6 Milliarden Euro. Damit wäre bei einem innerdeutschen Stabilitätspakt Schluss. Eichel würde Ausgabesündern sonst blaue Briefe schicken und im Notfall sogar Strafzahlungen aufbürden.

Gerade die Finanzminister der CDU-regierten Länder stehen dem durchaus offen gegenüber. Hamburgs Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) sagte der taz, er habe durchaus „Vorstellungen über gemeinsame Kritierien“. Konkretisieren wollte Peiner sie noch nicht, aber die Instrumente sind klar: Ein nationaler Pakt müsste definieren, wie viel Schulden die Länder bis wann reduzieren müssen – und was geschieht, wenn sie es nicht tun. Auch Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) sagte der taz, „eine Art Stabilitätspakt ist interessant und denkbar“. Er sprach dabei von echten Sanktionsmitteln: Das Bundesland, das sich nicht an die gemeinsamen Stabilitätskriterien hielte, müsste sogar mit Strafzahlungen rechnen.