Bush mobilisiert Freiwillige

In Zeiten des Krieges gegen den Terror kann der Feind überall sein. Ein Citizen Corps und das Präventionsorgan Tips sollen ihre Mitbürger überwachen und Verdächtiges möglichst schnell melden

aus Washington MICHAEL STRECK

Ein Freund reiste zum ersten Mal nach Amerika. In Seattle wollte er Bekannte in einem Vorort besuchen. Er klingelte, doch niemand öffnete. Also ging er um das Haus herum, wollte im Garten nachsehen, ob dort jemand sei und ihn nicht gehört hatte. Als er die Hoftür öffnete, hörte er plötzlich aufgeregte laute Stimmen, Fenster in Nachbarhäusern wurden aufgestoßen und misstrauische Blicke musterten ihn. Jemand mit Hund kam auf ihn zu und führte sich auf wie der Sheriff höchstpersönlich. Der Reisende hatte Mühe zu erklären, dass sein Besuch erwartet werde und er nichts Böses im Schilde führe. Das war vor zehn Jahren.

Was die Vorstadtbewohner praktizierten, wird in Amerika „Neighborhood-Watch“ genannt. Menschen sollen sich für ihre Umgebung verantwortlich fühlen, die Nachbarschaft beobachten und zur Not die Nummer 911 anrufen, sobald sie etwas Verdächtiges wahrnehmen. Diese Art der Nachbarschaftshilfe ist in den USA sogar zum offiziellen Programm erhoben worden. Neben Kriminalitätsbekämpfung ist das wichtigste Ziel, den Menschen in ihren Stadtvierteln ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Doch nach dem 11. September geht es nicht mehr nur darum, Autodiebe oder Einbrecher abzuschrecken. Amerika befindet sich im Krieg gegen den Terror. Der Feind kann überall sein, auch vor der eigenen Haustür. Was tun?

Präsident George W. Bush antwortet mit einer Art Massenmobilmachung und gründete kurzentschlossen das Citizen Corps, einen landesweiten Freiwilligendienst: „Wir stärken die Kommunen, nutzen die Kraft unserer Bürger, um uns gegen die Bedrohung durch den Terrorismus zu wappnen.“ Die neue Organisation wird unter dem Dach des USA Freedom Corps geführt, dem alle Freiwilligendienste angehören.

Bei genauer Betrachtung ist Citizen Corps jedoch alter Wein in neuen Schläuchen. Die meisten Initiativen innerhalb dieser neuen Organisation gibt es bereits. Sie sind auf kommunaler Ebene angesiedelt und haben so unpatriotische Namen wie „Medical Corps“ oder eben „Neighborhood Watch“. Polizei und Feuerwehr bieten Kurse an, wie man sich auf Notfallsituationen kollektiv vorbereiten kann – etwas völlig normales in einem Land mit Erdbeben und Hurrikans.

So wird der alte Katastrophenschutz jetzt zum Anti-Terror-Kampf hochstilisiert. Das neue Etikett hat für die Kommunen jedoch einen praktischen Vorteil: Washington zahlt. 230 Millionen Dollar sollen das nächste Jahr für Citizen Corps bereit gestellt werden; bislang mussten die Kommunen diese Programme fast ausschließlich selbst finanzieren. Zudem werden die lokalen Initiativen nun direkt vom Gouverneur des Bundesstaats unterstützt und von einer nationalen Zentrale koordiniert.

Neben dem Training für Notfälle und der erhöhten Nachbarschaftskontrolle soll es eine Mobilmachung geben, die bislang ihresgleichen sucht: die Operation „Tips“. Das so genannte Terror-Informations- und Präventionssystem soll – wenn es voll funktionsfähig ist – bestimmten Berufsgruppen erlauben, Hinweise über verdächtige Aktivitäten möglichst schnell an die zuständigen Behörden weiterzuleiten. Wenn also Briefträger, Schaffner, Brummifahrer oder Kraftwerksmitarbeiter während ihrer Arbeit verdächtige Vorkommnisse mit „möglichem terroristischen Hintergrund“ beobachten, können sie bei einer landesweit geschalteten Hotline anrufen. Die vom Justizministerium koordinierte Operation Tips soll im August in einer Pilotphase starten. Teilnehmerzahl: eine Million. Ob die neue Überwachungsgesellschaft mehr Sicherheit schafft als übertriebenes Misstrauen bleibt abzuwarten.