Brückenbau am Bosporus

Auch wenn sich der „Geist von Istanbul“ nicht zeigte, erfüllte das Treffen seinen Zweck: den interkulturellen Dialog

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Es war schon am späten Nachmittag, und ein Großteil der Diskutanten war bereits ziemlich erschöpft, als ein Herr im grauen Anzug zum Mikrofon ging, sich als politischer Berater der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate vorstellte und dann sagte: „Seit 25 Jahren nehme ich an Veranstaltungen teil, die den Dialog zwischen Orient und Okzident befördern sollen. Das Ergebnis war der 11. September.“

Nicht ganz so radikal hatte zuvor der iranische Außenminister Kamal Charrasi beklagt, dass Worte allein noch nicht die Welt verändern. Wie könne man den ganzen Tag von Toleranz, kultureller Verständigung und einer Vertiefung des Dialogs reden, wenn zur selben Zeit die palästinensischen Brüder bombardiert würden und die USA mit einem Krieg gegen den Irak drohten? Auf dem Weg, den die US-Regierung eingeschlagen hat, würden alle verlieren, beschwor er das Publikum.

Trotzdem war das Treffen einen Versuch wert. Denn erstmals in der Geschichte der EU kamen deren Außenminister mit ihren Kollegen aus der Organisation Islamischer Staaten (OIS) zusammen – um dem in jüngster Zeit so häufig beschworenen „Kampf der Kulturen“ einen „Dialog der Zivilisationen“ entgegenzusetzen. Angeregt dazu hatte der türkische Außenminister Ismail Cem wenige Wochen nach den Attentaten vom 11. September, auf einem OIS-Treffen in Katar. Am Montagabend dann konnte Cem stolz 75 Minister, Generalseketäre und Ministerstellvertreter in Istanbul begrüßen. Dass das Treffen überhaupt zustande kommen konnte, hatte bereits einen hohen symbolischen Wert, der durch den Ort noch einmal unterstrichen wurde: Wo, wenn nicht in Istanbul, der Stadt, die als Konstantinopel erst 1.000 Jahre Zentrum der christlich-orthodoxen Welt und danach 600 Jahre Sitz des Kalifen, also des obersten muslimischen Würdenträgers, war, hätte eine solche Begenung zwischen Ost und West sonst stattfinden sollen?

So wurde denn auch in etlichen Reden, vorneweg der des französischen Außenministers Hubert Vedrine, bereits der „Spirit of Istanbul“ beschworen. Bis zuletzt war nicht ganz klar, worin dieser Geist denn nun bestand. Einerseits wollte man sich einmal ernsthaft mit dem kulturellen Hintergrund europäischer und islamischer Gesellschaften beschäftigen, wozu eine Reihe prominenter Gäste wie Bernhard Lewis, Thierry de Montbrial oder Hanafi Hassanien eingeladen wurden. Andererseits bot die Veranstaltung am Rande des politischen Tagesgeschäft eine gute Gelegenheit, die verfahrene Situation zwischen Israel und den Palästinensern zu diskutieren – oder mit dem irakischen Außenminister Nadji Sabri zu plaudern, ganz unverfänglich. Während die Minister in ihren Statements einer nach dem anderen – Frauen waren auch auf europäischer Seite eine verschwindende Minderheit – den Geist der Toleranz beschworen, verwies der prominente britische Historiker und Orientalist Bernhard Lewis auf die Tatsache, dass die Politiker selbst längst Teil einer jahrhundertealten Diskussion sind, der „Großen Debatte zwischen Christentum und Islam“.

Bei allen Unterschieden, so Lewis, sei eine Verständigung gerade zwischen diesen beiden Zivilisationen durchaus möglich. Denn wenn ein Europäer zu einem Araber – oder umgekehrt – sage: „Fahr zur Hölle!“, dann wisse der jeweils andere genau, was gemeint sei. Das sei bei einem Buddhisten nicht so. Doch der Hinweis darauf, letztlich im Hades vereint zu sein, reichte den meisten Teilnehmern nicht zum Glück.

Wortreich beklagten die Araber die ungerechte Behandlung durch den Westen, die Europäer konterten mit dem Hinweis auf dem Mangel an individuellen Freiheiten im Osten. „Teilen wir wirklich“, fragte Joschka Fischer, „dasselbe Verständnis der Bedeutung der Freiheit des Einzelnen und ihrer unveräußerlichen Rechte?“ Damit auch der Letzte verstünde, was er damit meinte, fügte Fischer hinzu: „Die Rechte der Frauen dürfen in diesem Dialog nicht ausgespart werden, sondern bedürfen der vorrangigen Klärung.“

Genau an diesen Fragen zeigte sich, wie weit der Weg zu einer Verständigung noch ist. Während Fischer, der EU-„Außenminister“ Javier Solana und andere von Freiheitsrechten reden, definierte der syrische Außenminister al-Schara Freiheit als die „Abwesenheit von Besatzung“. Die Vertreter der arabischen Länder wünschten von ihren europäischen Kollegen keinen unverbindlichen Kulturaustausch, sondern eine klare Stellungnahme zum palästinensisch-israelischen Konflikt.

Zwar bekräftigte Chefdiplomat Solana in seiner Rede, dass die EU den Weg zur Anerkennung eines palästinensischen Staates beschritten habe und dies die Voraussetzung für eine politische Lösung sei. Dennoch mochten die EU-Vertreter letztlich keinem Kommuniqué zustimmen, in dem Israel angegriffen würde – weil man keinen Staat verurteilen wollte, der nicht an der Konferenz teilnahm.

Mehr Einigkeit bestand da schon in der Ablehnung eines möglichen Angriffs auf den Irak als Teil der US-Anti-Terror-Kampagne. Von Fischer über den türkischen Ministerpräsidenten Ecevit bis zum jordanischen Kronprinzen Hassan Bin Talal machten alle klar, dass sie einen „Wechsel des Regimes“, wie US-Außenminister Powell es am selben Tag vor dem amerikanischen Kongress etwas euphemistisch genannt hatte, ablehnen. Ecevit hatte sich am Vorabend der Konferenz im türkischen Fernsehen vehement gegen einen US-Schlag ausgesprochen – getrieben von der Furcht, die türkische Wirtschaft könnte dadurch in eine erneute Krise geraten.

Mit Spannung hatte man deshalb in Istanbul auf den irakischen Außenminister gewartet, bei dem bis zuletzt unklar war, ob er überhaupt erscheinen würde. Auf die US-Drohungen ging Sabri in seiner Rede nicht ein, sondern beklagte die vielen Opfer des nun bereits seit 12 Jahren andauernden Embargos gegen sein Land. Auch abseits der offiziellen Veranstaltung war ihm keine Einschätzung zu entlocken, ob Saddam Husein bereit sein würde, wieder UN-Waffeninspektoren ins Land zu lassen – dabei war das die letzte Hoffnung aller Dialogpartner in Istanbul.

Wenn Saddam jetzt keine Geste des guten Willens mache, um Bush zuvorzukommen, sei ein Krieg wohl unvermeidlich. Selbst Irans Außenminister Charrasi, der sich zunächst über die hohlen Phrasen auf dem Treffen beschwert hatte, meinte zum Schluss: „Dialog ist unsere einzige strategische Option.“