Ein enthemmtes Familientier

Ausgerechnet am Hochzeitstag erfährt Hannes von der Affäre seiner Frau. Um sie zurückzuerobern, entwickelt der Heimwerker kriminelle Energien und überfällt mit Gasmaske und Frauenperücke eine Bank („Das verflixte 17. Jahr“, 20.45 Uhr, Arte)

von CHRISTIAN BUSS

Familien sind geschlossene Systeme. Sie funktionieren wie komplexe und hoch empfindliche Energiekreisläufe. Ein Impuls von außen kann jedoch ausreichen, um diese Systeme prächtig kollabieren zu lassen oder die darin wirkenden Kräfte in unberechenbare Bahnen zu lenken.

Familienvater Hannes (Florian Martens) ist Teil eines reibungslos laufenden Energiegefüges. Denkt er zumindest. Tagsüber arbeitet er als Elektriker, abends vergrößert er das Eigenheim mit allerlei Anbauten. Doch als ein anderer Mann ins Leben seiner Frau (Andrea Sawatzki) tritt, werden in dem Heimwerker unerwartete kriminelle Kräfte freigesetzt – und ein fataler Automatismus kommt in Gang: Erst lässt er seinen Sohn den Sportwagen von Mutters neuem Liebhaber knacken. Und nachdem der Junge dafür ins Gefängnis gesteckt wurde, überfällt der besorgte Vater eine Bank, um mit der Beute bei Halbweltgestalten ein Alibi für seinen Spross zu kaufen.

„Das verflixte 17. Jahr“ ist ein Familienporträt der etwas anderen Art: Die Handlung ist überspannt, der Witz derb, aber die Beobachtungen des porösen Personengefüges sind präzise bis ins Detail. Am Anfang feiert das Ehepaar Hochzeitstag, und weil man das bei solchen Anlässen eben tut, legt Hannes ein stimmungsvolle CD auf: „Wind of Change“ von den Scorpions.

Geölte Prophezeihung

Der ölig gejaulte Titel wird zur düsteren Prophezeihung, denn auch in seinem Leben weht unverhofft der Wind der Veränderung: Seine Frau setzt ihn davon in Kenntnis, dass sie eine Affäre hat. Da stehen beide dann blöd in der Küche herum und sondern die in solchen Fällen üblichen Beschuldigungen und Beschwichtigungen ab – im Hintergrund indes beschwören die hannoveranischen Streichel-Hardrocker die ganze Zeit weiter die Macht der Gefühle. Dieser krass disfunktionale Einsatz von Musik in einer Produktion des deutschen Fernsehens, wo Popsongs in der Regel nur als kostengünstige Emotionalisierungseffekte vorkommen, erscheint geradezu subversiv.

Überhaupt ist die Tragikomödie von Hermine Huntgeburth, die bereits im vergangenen Jahr mit der Spitzelromanze „Romeo“ handelsübliche Inszenierungstechniken hintertrieben hat, frei von bequemen Eindeutigkeiten. Die Verteufelung des Ehebruchs sucht man hier genauso vergeblich wie Sympathiebekundungen mit dem Verlassenen. Schuldig oder nicht schuldig – das ist nicht die Frage. Vielmehr geht es darum, wie sich die traurigen Normalos im Räderwerk des grotesk zugespitzten Plots behaupten.

Die Grenzen des guten Geschmacks werden in dem Film mehr als einmal überschritten. Der gehörnte Gatte etwa gibt beim Bankraub mit Gasmaske und Frauenperücke eine wirklich scheußliche Figur ab. Die kriminelle Leidenschaft, die er zur Zurückeroberung seiner Ehefrau entwickelt, ist allerdings höchst bemerkenswert.

Serial Dad

Das enthemmte Familientier erinnert ein bisschen an die Killermama aus John Waters „Serial Mom“: Mit beinahe mörderischer Konsequenz wird hier versucht, die Herde zusammenzuhalten. So kämpft sich Serial Dad Hannes als Mischung aus traurigem Clown und tickender Bombe durch eine Geschichte, die in ihrem Aberwitz gleichermaßen die Unberechenbarkeit wie die Verlässlichkeit dieser kleinen sozialen Einheit namens Familie aufzeigt. „Das verflixte 17. Jahr“ ist ein schönes Loblied auf die Familie geworden – und doch frei von jeglicher Kleinbürgermoral.