Gummis sollen Journalisten schützen

Medienvertreter leben in der Ukraine recht gefährlich. Um sich zu wehren, dürfen sie jetzt eine Waffe tragen

Ukrainische Journalisten könnten künftig bei ihren Recherchen nicht nur mit Schreibwerkzeugen und Aufnahmegeräten, sondern auch mit einer Pistole bewaffnet sein. Eine Verfügung des Innenministeriums vom vergangenen Monat erlaubt ihnen ab sofort den Besitz eines dem Waffentyp Neun-Millimeter-Makarow verwandten Schießeisens zur Selbstverteidigung.

Mit diesem ungewöhnlichen Schritt zieht das Ministerium nur eine mögliche Konsequenz aus der traurigen Realität. Denn in der Ukraine leben Journalisten gefährlich und oftmals recht kurz. Offiziellen Angaben zufolge sind seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1991 mindestens sieben Medienvertreter bei der Ausübung ihres Berufs getötet worden. Der spektakulärste Fall war der des regimekritischen Chefredakteurs der Internetzeitung Ukrainska Prawada, Georgi Gongadse, dessen enthauptete Leiche im September 2000 unweit der Hauptstadt Kiew entdeckt worden war. Der gewaltsame Tod Gongadses, der bis heute nicht aufgeklärt ist, war der Auftakt zu wochenlangen Demonstrationen der Opposition, die Staatschef Leonid Kutschma beinahe zu Fall gebracht hätten.

Knapp ein Jahr nach Gongadse starb der ebenfalls unbequeme Fernsehjournalist Igor Alexandrow im ostukrainischen Slawjansk an schweren Kopfverletzungen, die ihm Unbekannte bei einem Überfall mit Baseballschlägern beigebracht hatten. Ob Alexandrow, wäre er bewaffnet gewesen, seinem Schicksal hätte entgehen können, ist fraglich. Denn aus der Journalisten-Makarow können nur Gummigeschosse abgefeuert werden.

Außerdem ist der Weg zur Erlaubnis, die zum Waffenerwerb berechtigt, weit. So muss der Anwärter nachweisen, mental gesund zu sein, und glaubhaft machen, keine Drogen zu konsumieren. Der Arbeitgeber muss überdies erklären, warum sein Angestellter einem besonderen Berufsrisiko ausgesetzt ist. Selbst wenn alle diese erforderlichen Nachweise vorliegen, könnte die Bewaffnung immer noch an finanziellen Engpässen scheitern: Der Preis für die Waffe übersteigt mit rund 100 Dollar das durchschnittliche Monatsgehalt vieler Journalisten. So sind denn die Meinungen über den Journalistenselbstschutz auf ukrainische Art unter den Betroffenen geteilt. Andrej, Angestellter eines Radiosenders in Kiew, der auf die Nennung seines Nachnamens lieber verzichtet, hat mehrere Kollegen, die in der Vergangenheit bereits Opfer brutaler Überfälle wurden. „Dass die Waffe gegen potenzielle Mörder hilft, glaube ich nicht“, sagt er. „Aber zumindest gibt sie mir das Gefühl, eine Chance zu haben, mich zu verteidigen. Der Überraschungseffekt könnte mir ermöglichen, noch rechtzeitig zu entkommen.“

Juri Durkot, freier Journalist in Lwiw, sieht das Ganze eher skeptisch. Damit würden doch nur die Aufgaben der Polizei, Kriminalität zu verhindern und die Menschen zu schützen, auf die Journalisten abgewälzt – für ihn ein Unding. „Das ist kein Ausweg“, sagt Durkot.

Mary Mycio von der Irex ProMedia Group, einer US-Nichtregierungsorganisation, die die Arbeit der ukrainischen Journalisten auf westliche Standards hieven will, sieht noch ganz andere Gefahren. Sollten die Journalisten nicht im Waffengebrauch unterwiesen werden, könnten am Ende mehr Unbeteiligte als Angreifer verletzt werden.

Bisher hält sich das Innenministerium bedeckt, wie viele Anträge auf Erteilung eines Waffenscheins ihm bereits vorliegen. Doch könnte sich die Nachfrage in diesen Tagen rasant erhöhen. Seit kurzem läuft in der Ukraine der Wahlkampf, am 31. März wird ein neues Parlament gewählt. Zumindest in der Vergangenheit fanden da die Auseinandersetzungen nicht nur mit Worten statt. BARBARA OERTEL