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Starker Flächenfraß in den Alpen

Heute eröffnet Verbraucherschutzministerin Renate Künast in der bayerischen Landeshauptstadt das „Internationale Jahr der Berge“. Vielleicht hilft das den Alpen: Das zentraleuropäische Hochgebirge ist weiterhin das weltweit am meisten belastete

aus München OLIVER HINZ

Unter dem Motto „Berge machen Sinn“ eröffnet heute Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast das „Internationale Jahr der Berge 2002“. Ausgerufen wurde es von den Vereinten Nationen. Der Auftaktveranstaltung mit 500 geladenen Gästen folgen zahlreichen Veranstaltungen über das ganze Jahr verteilt – was angesichts des neuesten Alpenreports der internationalen Alpenschutzkonvention Cipra dringen notwendig erscheint. Weltweit sind die Alpen die am stärksten belastete Bergregion.

Der neueste Cipra-Bericht bilanziert weiterhin einen starken Flächenfraß. Täglich werden 2,3 Hektar Alpen versiegelt – was drei Fußballfeldern entspricht. Zwar verkleinerte sich gerade in Bayern die landwirtschaftliche Nutzfläche von 1979 bis 1995 um über 400 Quadratkilometer, in der gleichen Zeit aber vergrößerten sich die Flächen für Siedlung und Verkehr um 32 Prozent.

12.000 Lifte und Seilbahnen gibt es mittlerweile in den Alpen. Wegen der Klimaerwärmung werden immer höhere Bergregionen für Skigebiete erschlossen und mehr Schneekanonen eingesetzt. Lediglich in Bayern, zu dem etwa 2,2 Prozent der Alpenfläche gehören, entstand seit den Achtzigerjahren kein neues Skigebiet. Jedes Jahr sind laut Cipra rund 100 Millionen Touristen in den Alpen unterwegs – vor allem mit dem Auto. Alleine die Wintersportler fahren 25 Millionen Kilometer für Hin- und Rückweg. Deutschland ist laut Cipra für ein Viertel der jährlich über zehn Millionen Lkw-Fahrten über die Alpen verantwortlich. Die Immissionsbelastung steigt dementsprechend. Nur jeder dritte Baum des Schutzwaldes ist noch gesund. Die Schweiz verlor in den vergangenen 100 Jahren etwa die Hälfte aller Gletscher. Dagegen wachsen wegen erhöhter Niederschläge die Gletscher in Skandinavien. Immerhin ist Rodung des Bergwaldes – in den Anden und im Himalaja Hauptproblem der Gebirge – hier kein Thema. Der Waldbestand der Alpen hat sich stabilisiert.

„Wir werden den Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber an seiner Verkehrspolitik messen, ob er dem Ruf des Heimatschützers gerecht wird“, sagte Naturschutzbund-Geschäftsführer Gerd Billen. „Bisher trägt er zur Zerstörung der Alpen bei.“ Billen forderte insbesondere Stoiber auf, den umwelt- und menschenverachtenden Gütertransitverkehr durch die Alpen einzudämmen. „Angesichts der Abgaslawine bleibt von der viel gepriesenen Bergluft nur nostalgische Erinnerung“, meinte der Nabu. Die Organisation fordert deshalb eine Lastwagenmaut von 40 Cent pro Kilometer. Bis 2010 sollten mindestens 60 Prozent des Gütertransports auf den Schienen erfolgen. Billen: „In der Schweiz ist man heute schon so weit.“ Der bayerische Landesbund für Vogelschutz kritisierte, dass die CSU-Landesregierung zu wenige Schutzgebiete für das europäische Netz „Natura 2000“ ausweise. Wichtige Gebiete wie das Estergebirge bei Garmisch-Partenkirchen mit seinen sieben verschiedenen Lebensräumen und dem seltenen Käfer Almbock seien nicht unter Schutz gestellt worden.

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