Alles außer Mord

Modell „Gemeinschaftskonferenzen“: Luruper Forum erwägt Konfliktlösung ohne Gerichte nach Neuseeländer Vorbild  ■ Von Gernot Knödler

Was nützt es, Ruhestörer, Vandalen oder die Schläger einer Jugendgang von einem Gericht bestrafen zu lassen, wenn sich an der Ursache ihres Tuns nichts ändert? Wenn weiter Jacken abgezogen werden, weil es die Clique cool findet, wenn deutsche und türkische Nachbarn weiter einander das Leben vergällen, bloß weil sie einander nicht verstehen? In Lurup, wo solche Konflikte zuhauf auftreten, überlegen die Stadtentwicklungsgesellschaft Steg und der Stadtteilbeirat „Luruper Forum“ deshalb, durch „Gemeinschaftskonferenzen“ Abhilfe zu schaffen. Das Modell ist in Neuseeland fest im Rechtssystem verankert. In Deutschland wäre seine Anwendung eine Premiere.

Anfang dieser Woche erläuterten Astrid Klukkert und Otmar Hagemann vom Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg einer Reihe von Lurupern, wie das Modell funktioniert und wie es im Stadtteil umgesetzt werden könnte. Ziel des Verfahrens, so Hagemann, sei es, „die Gerechtigkeit wiederherzustellen“, gestörte soziale Beziehungen zu heilen. Anders als in einem Gerichtsverfahren gehe es nicht darum, die Verletzung einer Norm mit einer Strafe zu ahnden, sondern darum, einen Ausgleich zwischen den Konfliktparteien – im Extremfall zwischen Täter und Opfer – zu finden.

Hagemanns Kollegin Klukkert konstruierte ein hypothetisches Beispiel, in dem sich Rentner und Familien über den Lärm auf einem Kinderspielplatz streiten. Der Streit artet in Handgreiflichkeiten aus und mündet in eine Strafanzeige. Streitschlichter – zunächst Profis, dann nach und nach ausgebildete Laien – würden den Konfliktparteien anbieten, eine außergerichtliche Einigung zu suchen.

„Täter“ und „Opfer“ würden sich zusammen mit ihren Nachbarn, Familien oder anderen Betroffenen zu einer Gemeinschaftskonferenz zusammenfinden. Dort hätten beide Seiten Gelegenheit, den Fall darzustellen. Danach würde in großer Runde diskutiert. Idealerweise einigten sich beide Parteien schließlich schriftlich auf einen Ausgleich, der an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet würde, die wiederum von weiterer Strafverfolgung absähe.

Er könnte sich durchaus vorstellen, dass das ein Modell für Lurup wäre, meldete sich ein grauhaariger Mann zu Wort, gab jedoch zu bedenken: „Die wirklichen Beispiele, die wir in Lurup haben, sind härter.“ Dagegen warnte Otmar Hagemann davor, die Wirkung des Verfahrens zu unterschätzen.

In Neuseeland könne alles außer Mord zunächst einmal auf diese Weise verhandelt werden. Hagemann: „Das ist ein schwer wiegender Eingriff, weil die ganze Person sich stellen muss.“ Es ist nicht möglich, die Konferenz einfach über sich ergehen zu lassen. Schließlich muss das „Opfer“ am Ende das Gefühl haben, der „Täter“ meine es ernst mit seiner Reue.

Attraktiv ist das Verfahren für den „Täter“ selbst dann, wenn er als Ausgleich Geld bezahlen oder soziale Arbeit leisten muss. Denn er entgeht einer gerichtlichen Strafe und damit einer Schädigung seines Rufs. Außerdem werden die Umstände, die zum Konflikt und zum Verhalten des „Täters“ führten, viel breiter diskutiert. Ziel ist es, Lösungen zu finden, mit denen sich ähnliche Konflikte in Zukunft vermeiden lassen – am besten schon bevor ein handfester Streit ausbricht.

Ob das Modell in Lurup verwirklicht werden kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Justiz mitspielt. Hagemann äußerte die Hoffnung, dass es sich als „erweiterter Täter-Opfer-Ausgleich“ vorläufig ins deutsche System integrieren lassen würde. Die Steg und das Bezirksamt Altona suchen jedenfalls Finanzierungsmöglichkeiten für ein solches Experiment.