Lustvolle Sujet-Umkreisungen

■ Die Arbeitssschritte eines begnadeten Künstlers: Lyonel Feiningers Halle-Zyklus in der Böttcherstraße. Der Bauhaus-Maler verwandelt Architektur-Fotografien in Farbprismen

Feininger ist ein Mann der Farbe. Seine Verwandlung von Architekturen in Farbprismen schafft leuchtende Flächen, unter dem Türkishimmel strahlen gold-gelb verwinkelte Fachwerkhäuser. „Am Trödel“ ist eines seiner Halle-Bilder, gemalt zwischen 1929 und 1931.

Mit Bleistift und Fotoapparat – Feininger ließ sich für die Haller Arbeiten erstmals von der Fotobegeisterung vieler seiner Zeitgenossen anstecken – flanierte der Maler durch die Stadt, ließ sich Zeit für seine Motivwahl – und entschied sich nach sieben Wochen dann doch für die „Hauptsehenswürdigkeiten“ Dom, Marktkirche und Roter Turm – die ihrerseits freilich eine unbegrenzte Fülle an möglichen Auschnitten boten.

Bei der Marktkirche wählte Feininger schließlich die berühmt gewordenen Nordostansicht, mit der extrem hart angeschnittenen Front der benachbarten Häuserreihe als rechter Bildbegrenzung.

Der realistischen „Bestandsaufnahme“ folgt bei Feininger stets die „Destillation“: Die geometrisierende Auflösung der Formen, die kubistische Zersplitterung – wobei der Malprozess als solcher dann geradezu „altmeisterlich“ von Statten ging. Im geduldigen Auftragen von feinen Farbschichten bekamen die Ölbilder eine Farbintensität, die sie noch heute leuchten lässt.

Wieder Abstand zum Objekt zu gewinnen gehörte für Feininger zum Konzept. Er suchte die räumliche und zeitliche Trennung zwischen den Arbeitsschritten – ohnehin war für ihn der Sommer Zeichen- und der Winter Malzeit. Das im Paula-Modersohn-Becker-Haus zusammengetragene Ergebnis dieser Arbeitsschritte besteht aus 60 Fotografien, 75 Zeichnungen und fünf Ölgemälden (die anderen sechs sind entweder verschollen oder nicht nicht mehr transportfähig). Ein magerers Resultat? Mitnichten. „Ich halte nachgerade mehr von Notizen als von den fertigen Studien“, befand der Meister selbst, und fügte hinzu: „Die Studie gibt nie solche Anregungen nachher ... das Bild steckt in der Notiz.“

Eigentlich ausgestellt ist also der Arbeitsprozess – womit das PMB einem gut nachvollziehbarem Ausstellungskonzept folgt. Die BetrachterInnen können Feininger bei seiner Umkreisung der Sujets begleiten, beim Näherkommen und Umschwenken, um dann mit ihm beim letztlich gewählten Fokus anzukommen.

Man spürt dabei sowohl die Lust am Flanieren als auch die Macht die Perspektive. Die klare Perspektivsetzung gibt etwa dem „Roten Turm“, einem der Hallenser Wahrzeichen, den klaren Rahmen: Feininger klemmt das an sich frei stehende Bauwerk zwischen zwei Häuserzeilen. Den turmlosen Dom hingegen monumentalisiert der Künstler, macht ihn zum dunkel-dräuenden Koloss. Ganz nebenbei fallen dabei auch dessen Renaissance-Anbauten dem Pinselstrich zum Opfer – Feininger war großer Gotik-Fan.

Ganz begeisterter Amerikaner auf back-to-the-roots-Trip (sein Großvater war 1848 nach der Niederlage der badischen Revolution ausgewandert) liebte Feininger die deutschen Idyllen wie Ostsee und thüringische Dorfkirchen. Die Berufung ans „Bauhaus“ brachte ihn endgültig nach Weimar und dann Dessau – die Haller Stadtansichten waren also Gastspiel und zudem sein einziger öffentlicher Malauftrag in Deutschland.

Es wurde ein sehr erfolgreicher. Die Haller kauften statt des vereinbarten einen Bildes schließlich alle elf Porträts ihrer Stadt, die sie allerdings schon kurz darauf für die Ausstellung „Entartete Kunst“ nach München abgeben mussten.Feininger selbst kehrte 1937 nach Amerika zurück – wo erweiterhin deutsche Landschaften malte.

Unter den Stadtportäts des 20. Jahrhunderts sind Feiningers Haller Arbeiten outstandig – dabei hatte der Amerikaner keine leichte Aufgabe. Den Charakter einer alten Stadt mit den Mittel der künstlerischen Moderne einzufangen, ist ihm auf bezaubernde Art gelungen.

Henning Bleyl

Bis zum 21. April. Am 7., 14. und 21. März halten mit Martin Faass, Wolfgang Büche und Ulrich Luckhardt drei führende Feininger-Forscher Vorträge (Beginn jeweils 19 Uhr)