Recherchen im Selbstfindungsheim

Mutproben, Liebesleid, Rassismus: Das Japankino liefert schöne Herzensfilme und durchgeknallte Satiren

Japan ist das schönste Filmland, hat man früher oft gedacht und überlegt manchmal, wie es kam, dass man sich immer so viele japanische Filme anguckt, obgleich man noch nie dort war und auch keine japanischen Bekannten hat. Die einfachste Erklärung: Selbst im Trashbereich sind japanische Filme noch formvollendet. Eine andere: Herbert Achternbusch hatte immer von Ozu geschwärmt, und deshalb hatte man sich dann im Arsenalkino eben Ozu angeguckt und auf den Berlinalen alle japanischen Filme.

Man hatte dabei anfangs ein eher konservatives Klischee in seinem Kopf vom japanischen Kino. Es sollte still, meditativ sein, halt so zenmäßig irgendwie, und dann war man plötzlich enttäuscht, als man Mitte der Achtziger im Forum-Programm, dessen Verdienste um die Verbreitung des zeitgenössischen japanischen Kinos nicht überschätzt werden können, Sogo Ishis durchgeknallte Komödie „Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb“ sah. Erbost darüber, dass der Film so sehr dem eigenen Japanbild widersprach, hatte man das Kino verlassen und ihn erst später großartig gefunden.

Vor ein paar Jahren hatte Sogo Ishi dann einen wahnsinnig melancholischen stillen Selbstmordfilm im Panorama-Programm, was hier nur erwähnt wird, weil die Spannbreite vieler junger japanischer Regisseure so unglaublich groß ist. Viele finanzieren ihre Herzensfilme ja zum Beispiel auch durch Pornostreifen.

Mit Sogo Ishi hatte eine neue Blüte im japanischen Kino begonnen, für die es keine ökonomische oder kulturpolitische Erklärung gibt, wie Ulrich Gregor Anfang der Neunzigererjahre schrieb, denn „in Japan gibt es kein Förderungssystem für Filme wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern“. So „muss man den Reichtum der japanischen Filmszene wesentlich auf die schöpferische Kraft und Energie der Autoren und Regisseure zurückführen“.

Während man sich große japanische Dokumentationen wie Kazuo Haras Porträt des krebskranken Schriftstellers Mitsuharu Inoue, „A dedicated life“ von 1994 (mein All-Time-Berlinalelieblingsfilm), meist nur auf den Filmfestspielen angucken konnte, feierten die satirischen, teilweise extrem schnellen und witzigen Gesellschaftskomödien wie „Shall We Dance“, „Mein geheimer Schatz“ oder „Monday“ auch im Westen Erfolge. Eher sehnsüchtig-melancholische Jugendfilme, („A Hole in the Sky“ u. a.), die ihren ersten Westauftritt auf der Berlinale hatten, tourten durch die Programmkinos westlicher Großstädte.

Die Trefferquote bei japanischen Filmen ist jedenfalls ausgesprochen hoch. Auf der diesjährigen Berlinale werden insgesamt 14 japanische Filme unterschiedlicher Genres und Stilrichtungen gezeigt. „The Princess Blade“ (Forum), das Martial-Arts-Drama des dreißigjährigen Regisseurs Sato Shinsuke, geht zurück auf einen in den Siebzigerjahren äußerst erfolgreichen Manga, in dem Japan ein totalitäres Land ist. Imponierend wie so oft: der Gegensatz zwischen einer gewissen Schamhaftigkeit und der exzessiven Gewalt in dem unterhaltsamen Jugendfilm. Aoyama Shinjis „Yokohama Mike – A Forest with No Name“ ist ein seltsam stiller Detektivfilm mit einem jungen, postmodern melancholischen Helden, der so leicht punkig daherkommt und sich bei seinen Recherchen in einem Selbstfindungsheim in sich selbst verstrickt und irgendwann auch vor einem Baum steht, der ihm sehr ähnelt.

Auch wegen solcher schönen Einfälle liebt man das japanische Kino. Oder auch weil es so schöne, zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichten gibt. Vor zwei Jahren hatte Isshin Inudo von einem achtzigjährigen Mann erzählt, der seine Erinnerung verloren hat und glaubt, wieder zwanzig zu sein, und in dem Traum, der sein Leben ist, seine junge Pflegerin liebt. In diesem Jahr berichtet Hisashi Saito, in „Itai Futari“ (A Painful Pair; Panorma), von einem jungen Ehepaar, das sich allzu sehr liebt: Wann immer Ryo oder Natsu einen körperlichen Schmerz verspüren, empfindet ihn auch der andere Ehepartner an der gleichen Stelle. Das sorgt einerseits für große Situationskomik, andererseits ist „A Painful Pair“ auch ein sehr trauriger kleiner Film, dem man wünscht, dass er später auch hierzulande in die Kinos kommt. In Kazama Shioris sehr schönem „Mars Canon“ (Forum) geht es sehr alltagsrealistisch um eine 29-jährige Frau, ihre nicht so recht befriedigende Liebesbeziehung zu einem älteren verheirateten Mann und ihre Freundin, die sie liebt.

Am schönsten aber ist Isao Yukisadas „Go“, der so actionreich und großartig geschnitten wie Sabu’s „Monday“ von einem jungen, in Japan aufgewachsenen Koreaner erzählt, der anfangs eine patriotisch-kommunistische Schule für koreanische Einwanderer besucht, später – ein Affront – auf eine japanische Schule wechselt und sich als Sohn eines früheren Profiboxers Respekt in fremdenfeindlicher Umgebung verschafft. Es geht auch um eine komplizierte Liebesgeschichte zu einer Japanerin, harte Mutproben in der U-Bahn, Rassismus natürlich. „Go“ ist atemberaubendes, großes Kino und Japan das schönste Filmland. DETLEF KUHLBRODT