Liebich: „SPD ist desolat“

In einem internen Papier geht der Berliner PDS-Chef mit dem Koalitionspartner und den eigenen Genossen ins Gericht: PDS habe „nur einige wenige Reformpakte im Angebot“

Kritische Haltung zum DDR-Sozialismus soll Akzeptanz in Westberlin erhöhen

Einen Monat nach der Vereidigung des ersten rot-roten Senats in Berlin geht der Landesvorsitzende der PDS, Stefan Liebich, hart mit den Koalitionsparteien SPD und PDS ins Gericht. In einem internen Papier zur „Rolle der PDS in der Berliner Regierungsverantwortung“, das Liebich heute dem PDS-Landesvorstand auf seiner Klausurtagung vorstellen wird, stellt Liebich fest, weder SPD noch PDS seien in wünschenswertem Maß auf die rot-rote Koalition vorbereitet gewesen. Nach der Bankenaffäre sei die Abwahl des Diepgen-Senats jedoch unumgänglich geworden: „Wir hätten den Wählerinnen und Wählern wohl kaum sagen können, wir sind inhaltlich noch nicht so weit.“

Den Koalitionspartner kritisiert Liebich. „Die Wahrheit bleibt jedoch: Die SPD ist nach wie vor in einem desolaten Zustand und intern zerstritten.“ Der sozialdemokratische Wille, die große Koalition zu verlassen, sei „noch kein politisches Konzept“. Liebich begrüßt aber einen „Generationswechsel“, den er bei den Berliner Sozialdemokraten beobachtet.

Angesichts der Schwäche der SPD komme es in der rot-roten Koalition besonders auf Liebichs Partei an: „Die PDS muss die treibende Kraft in dieser Koalition sein.“ Die PDS soll in der rot-roten Koalition durch einen eigenen Politikstil erkennbar sein: „Profil bildend für die PDS kann werden, dass wir anders als die Sozialdemokratie mit Kritik und Protest am eigenen Handeln innerhalb und außerhalb der Partei umgehen werden.“

Der 29-jährige Liebich, der erst unmittelbar vor Beginn der Koalitionsverhandlungen den Landesvorsitz von seiner Vorgängerin Petra Pau übernahm, sieht jedoch auch bei der eigenen Partei Schwächen. In dem „Alle wollen regieren, wir wollen verändern“ überschriebenen Papier, das der taz vorliegt, beklagt Liebich, die PDS habe „bisher nur wenige Reformpakete im Angebot“. „Deutliche Defizite“ benennt Liebich explizit in der „Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gleichstellungspolitik und Bildungspolitik“.

Laut Liebich muss seine Partei „Garant“ für den strengen Konsolidierungskurs in der Haushaltspolitik sein. Darüber hinaus müsse die PDS jedoch „das ‚Linke‘ an dieser Koalition deutlich machen“. Dies bestehe darin, in der Regierungsbeteiligung „mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Bürgerrechte und einen anderen Umgang mit der Vereinigung von Ost und West“ zu schaffen. Ziel der Berliner PDS, so Liebich, müsse insbesondere sein, die Akeptanz der Partei im ehemaligen Westteil der Stadt zu erhöhen.

Bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus erreichte die PDS in Westberlin 6,9 Prozent. Dieses allgemein als überraschend hoch bewertete Ergebnis ist nach Liebichs Meinung noch steigerungsfähig. Für Westberlin gibt er eine konkrete Zielmarke an: „Zehn Prozent bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen sind erreichbar!“

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es laut Liebich notwendig, die „Akzeptanz“ der PDS im Westteil zu erhöhen. Entscheidendes Mittel dazu sei neben der Arbeit in Senat, Abgeordnetenhaus und Bezirksversammlung vor allem ein offensiver Umgang mit der Vergangenheit der PDS. Die Partei müsse unbedingt „an unserer kritischen Haltung zum DDR-Sozialismus und zu unserer Vorgängerpartei festhalten“. Die Präambel in der rot-roten Koalitionsvereinbarung und die Beschlüsse des Berliner Parteivorstands und des Berliner Parteitags zum Mauerbau sieht Liebich dabei als Mittel zum Zweck. So böten sich die Chance, „gemeinsam mit der SPD über Geschichte zu reden“, und die „Möglichkeit, unterschiedliche Geschichtsinterpretationen von Ost und West“ zu formulieren.

ROBIN ALEXANDER