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: ARNO FRANK über den doppelten Untergang der „Wilhelm Gustloff“

Von der Synergie der Wasserkocher

Marcel Reich-Ranicki will geweint haben, der Spiegel widmete ihm eine Titelgeschichte und die Feuilletons feuerten freudig aus allen Rohren, als gelte es, das Schiffchen noch einmal zu versenken – ein Schriftsteller beschwört deutsches Flüchtlingselend, „Im Krebsgang“, Grass, krass!

Weil aber die Veröffentlichung des Büchleins kurzerhand vorgezogen wurde, vom 22. auf den 5. Februar, gerieten die literarischen Vorkoster in arge Bedrängnis. Rezensionen mussten her, und zwar zackzack. Schließlich geht’s um die Deutungshoheit über die neue Novelle eines einheimischen Nobelpreisträgers. Und so kam es, dass vor Wochenfrist zunächst die Zeit und kurz darauf die Welt umfangreiche Würdigungen des Grass’schen Werkes im Blatt hatten: „Der alte Mann und sein Meer“ stand über beiden Texten, beide waren vom umtriebigen Kritiker Günter Franzen verfasst, es war, kurz gesagt, auf Punkt und Komma ein und derselbe Text. Eine „Doublette“ nennen das Journalisten erbleichend, denn Doubletten sind betriebsinterne Katastrophen.

Doch ist Häme für den handwerklichen Fauxpas hier nicht angebracht. Wohlwollend könnte man Franzes hymnischen Allzwecktext auch als Metakommentar zu den hysterischen Medienreaktionen auf den neuen Grass lesen. Den findet ohnehin jeder knorke und dufte – welchen Unterschied macht es da, wenn Welt und Zeit mit einer Stimme sprechen? Günter Grass selbst dürfte es vielleicht ein wenig kränken, wenn statt einer hauseigenen Edelfeder ein dahergelaufener „Freier“ seine Novelle verfrühstückt. Aber das muss er abkönnen. Zudem ist es eher tröstlich denn bestürzend, dass auch in anderen Redaktionen nur mit Wasser gekocht wird.

Nun gehört die Welt dem Springer-, die Zeit dem Holtzbrinck-Konzern, und beide Verlage jammern gleich Klageweibern über die „wirtschaftliche Belastung der Branche“. Was läge näher, als sich Synergie-Effekte zunutze zu machen? Nichts, wie das strategische Online-Werbebündnis zwischen Springer und Holtzbrinck deutlich macht. Nun folgt augenscheinlich die zweite Stufe, das heitere Recylcling durchschnittlicher Texte. Und das wird ein Fest: Der durchgeknallte Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner schreibt in der Zeit über das angenehme Dauerkribbeln in seinen Lenden, Zeit-Wortführer Theo Sommer verrät intime Details über seine Nichte Ariane – in der Bild. Wenn das Wilhelm Gustloff noch wüsste!