„Hände in Unschuld gewaschen“

Ermittler Di Pietro gibt Mitte-links-Parteien Mitschuld am Fortbestehen der Korruption

taz: Korruptionsskandale gehören zur Nachkriegsgeschichte Italiens – ebenso wie deren Vertuschung. Wieso konnten die Ermittlungen von 1992 juristische Resultate zeitigen wie nie zuvor?

Antonio Di Pietro: Die Affären von 1992 waren in der Tat qualitativ nicht anders als die vorher oder nachher. Die Differenz bestand in der höheren Intensität der Ermittlungen und in der besseren Ausbeute bei den Resultaten. Natürlich gab es auch von außen wirkende Faktoren. Zumindest von 1992 bis 1994 funktionierte die Kontrolle der Öffentlichkeit gegenüber allen Vorhaben, unsere Arbeit zu torpedieren. Und noch etwas half: Die Korruption war in Italien so selbstverständlich geworden, dass die Leute schließlich mit unerhörter Frechheit agierten – entsprechend einfach entdeckten wir ihre Spuren.

Im Zuge der damaligen Skandale verschwanden die Regierungsparteien von der politischen Szene. Aber hat sich damit die Rolle der Korruption in der italienischen Politik wirklich geändert?

Ganz gewiss hat die Justiz nicht den Sieg davongetragen, ganz einfach weil die Justiz nie auf „Siege“ aus ist, sondern auf die korrekte Anwendung des Gesetzes und auf die Ahndung von Verbrechen. Die Veränderung der Verhältnisse dagegen, sprich die Zurückdrängung der Korruption, ist Aufgabe der Politik – und die hat versagt.

Also Korruption wie gehabt?

Wir stehen auf jeden Fall vor der konkreten Gefahr, dass die Korruption auf das alte Niveau zurückkehrt. Gerade in diesen Tagen erleben wir den Bestechungsskandal um das Turiner Großkrankenhaus Molinette und seinen Direktor Luigi Odasso (Mitglied der Berlusconi-Partei Forza Italia, d. Red.). Was da aufgedeckt wird, gleicht aufs Haar unseren Ermittlungen von vor zehn Jahren: Man kassiert von Lieferanten Bestechungsgelder, damit werden haufenweise Parteimitgliedschaften finanziert, um so die nötige Unterstützung für eine Karriere als Abgeordneter zu gewinnen.

Zugleich erlebt Italien eine beispiellose politische Offensive gegen die Staatsanwaltschaften. Berlusconi will die Auseinandersetzung offenbar ein für alle Mal entscheiden.

Und die Schuld dafür ist vor allem bei den Mitte-links-Parteien zu suchen. In ihrer Regierungszeit haben sie nichts unternommen, um Berlusconis Interessenkonflikte einer gesetzlichen Lösung zuzuführen. Sie haben sich wie Pontius Pilatus aufgeführt und ihre Hände in Unschuld gewaschen. Unabhängige Staatsanwälte sind eben auch bei den Mitte-links-Kräften nicht sonderlich beliebt.

Interview: MICHAEL BRAUN