Euch Uwe bringt den Falschen Glück

■ St. Pauli stellt mit einem 2:2 Titelaspirant Leverkusen ein Bein. Uwe Seeler erstmals am Millerntor

Nach Spielende dampfte es ganz gewaltig vor dem Spielereingang des Vereinsheims am Millerntor. Schuld daran trugen weniger die kühlen Temperaturen und schwitzende Spielerkörper, als die erhitzten Gemüter der psychologisch vorbelasteten Leverkusener Führungsriege. Nach dem verspielten Meistertitel in Unterhaching vor zwei Jahren verliert es sich für die Werks-Truppe auf der Suche nach der Meisterschale einfach schlechter gegen Gegner der anderen Tabellenseite. Ein Eindruck, der in den HB-Männchen anmutenden Gesten des Managers Reiner Calmund ihren Widerhall fand. Kurzzeitig hatte man sich Sorgen um den zornesroten Streichholzkopf machen müssen, ob er zwischen seiner Wortmousse – garniert mit reichlich Unzitierbarem – überhaupt noch zum Japsen käme. Doch niemand vermochte es, Reiner Calmund vor sich selbst zu schützen.

Den Grund für Calmunds gesundheitsschädliche Verbaleskapaden lieferte Schiedsrichter Jürgen Jansen, der in der 90. Spielminute einen umstrittenen Handelfmeter gegen das Werks- Team pfiff. St. Paulis Thomas Meggle traf nicht nur ins Tor zum 2:2 Endstand, sondern auch den wunden Punkt der gen Saisonende dünnhäutig werdenden Leverkusener.

Nico Patschinski hatte nach dem unverdient gewonnenen Punkt dann auch gut reden, als er zur brisanten Schiedsrichterfrage mit überernster Miene antwortete: „Ich bin jünger als der Schiedsrichter und deshalb sollte ich seine Entscheidung respektieren.“ Eine biologische Gegebenheit, auf die sich St. Pauli-Trainer Dietmar Demuth nicht zurückziehen konnte und wollte. „Selbst schuld kann man nur sagen“, analysierte der Coach und meinte damit die verpassten Möglichkeiten der Leverkusener, die über die gesamte Spielzeit hinweg spielerisch überlegen auftraten. Damit brach er die Diskussionen um die umstrittene Entscheidung wieder auf die Geschehnisse auf dem Spielfeld runter und brachte seinen Kumpel Klaus Toppmöller (“Wir hätten hier einfach das 3:1 machen müss-en“) beinahe auch noch auf die Palme.

Denn wie breit Leverkusen das Spiel auch machte und St. Paulis Außenverteidiger mit schnellem Passspiel auch ins Wanken brachte, verpassten sie es, den Ball im Netz unterzubringen. Spätestens die mangelnde Absprache innerhalb der Defensivreihe nach der Einwechslung von Deniz Baris bereitete den Zuschauern und vor allem Morten Berre ängstliche Minuten. Immer wieder musste der Norweger sich um zwei Leverkusener Spieler kümmern, die über die linke Seite vor das Tor von Tihomir Bulat drängten. Weder Baris noch Jochen Kientz rückten nach und überließen Berre dem Glück. „Die Abstimmung stimmte nicht ganz, da ich mich um Ballack kümmern sollte, der in der zentralen Position immer wieder gefährlich war“, erklärte Baris seinen Auftrag, den er in der Situation zum 2:1 für Leverkusen ein wenig vernachlässigte und Ballack aus 17 Metern traf. Vereinzelte Szenen, die in ihrer Gesamtheit dazu führten, dass Demuth nicht ganz zufrieden mit dem Auftritt seiner Mannschaft gewesen ist: „Irgendwie wirkte das alles ein bisschen gehemmt und wir sind nicht so draufgegangen, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagte der Coach immer noch mit einem leichten Grinsen - wahrscheinlich auch, weil Uwe Seeler erstmals überhaupt auf Einladung Leverkusens als Zuschauer am Millerntor war und prompt den Falschen Glück gebracht hat.

Es war aber nicht nur Schadenfreude über den geklauten Punkt, sondern auch das Gewissen, einen Big Point in letzter Minute geholt zu haben, der für die kommenden Begegnungen einen wichtigen psychologischen Mehrwert bedeutet. Einen, den Leverkusen im Kampf um die Meisterschaft gut gebrauchen könnte. Oke Göttlich