Das einsame Blümchenbild

■ Sympathie für die Sehnsucht nach Heimeligkeit: Emanuel Raabs „heimat.de“-Fotografien in Oldenburg

„Die Bilder sind eine Zumutung“, findet J. Woltmann: “Diese Motive dürfen in keinem Museum hängen“. Tun sie aber, und zwar im Oldenburger Landesmuseum im Schloß. Emanuel Raabs Photographien „/Heimat.de“ finden in Oldenburg ihre fünfte zeitweilige Heimat (nach Berlin, Ulm, Jena, Ludwigshafen), und sie polarisieren offenbar das Publikum. „Schrott Fotos“ seien das, die man besser auf 10x13 runterkopieren soll, „Dann tuts nicht so weh“ – ein weiterer Tip aus dem Besucherbuch.

Die OldenburgerInnen schätzen die benachbarte Ausstellung der Oldenburger HobbyphotographInnen zum Thema Heimat mehr, denn da werde doch gezeigt „was innen los ist“: Ästhetisch ansprechende, gefühlvolle Inszenierungen norddeutscher Feierabend- und Kindheitsidylle. Raab hingegen zeigt den Alltag frontal: Der Blick prallt an eine Lärmschutzwand oder von der Seitenansicht eines Neubaubungalos zurück zur Ratlosigkeit der Betrachter.

Ja, die Oldenburger haben recht: Das ist seelenlos, aber so ist der Alltag im Restdeutschland nun mal mitunter.

Aus dem Fenster einer S-Bahn schauen wir auf die Fassaden mehrstöckiger Vorortgettos, mit obligatorischer Schüssel am Balkon. Ein serieller Ablauf, der Filmschnitte suggeriert. Raab arbeitet mit ungewöhnlichen Perspektiven und Ausschnitten, die der klassischen Photoästhetik entgegenlaufen. Hier kommt keine Linie aus der unteren Bildecke, um Tiefe zu suggerieren; Horizontalen versperren den Blick. Und aus der Froschperspektive, schräg angelegt, ergeben Hausgiebel, Telegraphendrähte und Baum mit dem einfallenden Licht dann eine Komposition, ein Tableau, das die dingliche Wirklichkeit zu transzendieren scheint. Eine Frau im schwarzen, durchsichtigen Negligé steht in einem vergilbten Zimmer. Ihr Kopf ist über dem Mund abgeschnitten, ihr Rumpf unterhalb des Slips. Wer ist sonst noch im Raum, was macht sie hier? Rätsel stellen sich, Geschichten erfinden sich selbst.

Alles bleibt etwas unscharf, ist mit offener Blende stark belichtet. Eine andere Frau ohne Kopf und Rumpf, aber im Blümchenkleid steht vor einer Blümchentapete. Das heißt: Sie löst sich in ihr auf, Konturen verschwimmen im hellen Gelbton der Aufnahme. Blümchentapete: Das ist eine ganze Seins- und Lebensweise, Raabs Photos sind hier zynischer Kommentar. Aber eigentlich ist es eher eine Melancholie, die seine Arbeiten durchzieht, und viel Sympathie für die Sehnsüchte nach ein bisschen Heimeligkeit in der mitunter trostlosen Bodenlosigkeit des Alltags: Ein paar Cosmea stehen abgerupft in einem Wasserglas auf dem Tisch. Punkt. An einer grauen Wand hängt ein einsames Blümchenbild. Sehr weit rechts und etwas schief, so ein Bildchen halt, mit Messingrahmen, wie alleinstehende ältere Damen es oft im Flur hängen haben. Und Raabs Feierabendidyll, das ist die Datschenneubausiedlung, wo auf nackten Parzellen inmitten von Bauschutt gegrillt und geplanscht wird. „Traurig“, steht im Besucherbuch. Wie wahr.

Marijke Gerwin

Bis zum 14. April im Oldenburger Schloss: Sa- von 10 bis 17 Uhr, Di-Fr 9 bis 17 Uhr, Do 9-20 Uhr