Soghaft, rasant, ausverkauft

■ Große Sinfonik in kleiner Besetzung: Die Kammerphilharmonie begeisterte mit Schumanns vierter Sinfonie et al.

Karte gesucht, Karte gesucht: Zahlreiche BesucherInnen des letzten Abonnementkonzertes der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen dokumentierten allein mit diesem Ansinnen das internationale Niveau des bremischen Orchesters. Umso bedauerlicher ist die profillose Programmatik der Konzerte. Das ist kein Widerspruch zu der Tatsache, dass es sich im Einzelnen immer um Meisterwerke des Repertoires handelt. So auch im letzten, so hoffnungslos ausverkauften Konzert.

Der Programmheftautor teilt in freimütiger Ehrlichkeit mit, dass 1957 in Donaueschingen immerhin Luigi Nono, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen anlässlich einer Aufführung eines Werkes von Hans Werner Henze demonstrativ den Saal verlassen haben. Dabei standen Nono und Henze politisch auf derselben linken Seite: Luigi Nono jedoch machte keine Kompromisse in der Materialbehandlung, Hans Werner Henze entschied sich – lebenslang – für den Schönklang. Aus dieser Zeit stammt die virtuose „Sonata per archi“, die jetzt eine äußerst eindringliche Wiedergabe durch Daniel Harding erfuhr.

Alle Cellisten sind in Edward Elgars narratives Cellokonzert verliebt. Für die Solocellistin der Deutsche Kammerphilharmonie, Tanja Tetzlaff, war es etwas ganz besonderes, das Konzert nun mit „ihrem Orchester“ zu spielen, wie sie im Vorfeld bekannte. Der Solopart ist feinstens in den Orchesterpart verwoben, und so ist es sicher kein Zufall, dass Tetzlaff für das Bremer Konzert Elgar auswählte. Sie nahm das etwas bombastische, aufgeplusterte des Werkes ganz nach innen, was ihm bestens bekam.

Eine höchst poetische und souveräne Interpretation, mit einem, wunderbar tragfähigen Piano: angesichts des endlosen Beifalls ein richtig bewegendes Ereignis. Auch die Begleitung durch Daniel Harding wirkte äußerst einfühlsam.

Seit einiger Zeit hat Daniel Harding angefangen, sich die große Sinfonik des neunzehnten Jahrhunderts zu erobern. Schon bei den Wiedergaben der Sinfonien von Johannes Brahms fiel die fast kammermusikalische Konzeption auf, die ja auch schon durch die relativ kleine Besetzung vorgegeben ist. Nun erklang also ein Versuch mit der regelrecht glühenden monothematischen vierten Sinfonie von Robert Schumann. Eine kleine Gefahr besteht bei Daniel Harding, dass er von dem Druck, den er macht, schwer wieder zurückkommt. Das war zu merken am viel zu unruhigen Trio. Dies nur eine kleine Einschränkung, denn das Niveau war wieder einmal überragend.

Schumanns Sinfonien gelten als spröde und diffizil zugleich, das „Thema“ der vierten ist nicht viel mehr als ein gebrochener Dreiklang. Aber die spezifisch Schumannsche Dramaturgie bewirkt eine unglaubliche Faszination wie den Übergang zum Finale der vierten: Es ist begeisternd eindrucksvoll, wie Harding die ungemeine Rasanz der Schlussaccelerandi geradezu soghaft entwickelte, ohne je an Deutlichkeit der Artikulation oder rhythmische Genauigkeit zu verlieren. Und das bei einem Tempo, von dem so manche Zuhörer sagten, dass sie so etwas noch nie gehört hätten. Es zeichnet die Disposition von Harding aus, dass ihm bei diesem fast übersteigerten Tempo nichts weglief, stets blieben die Konturen bestens erhalten. Dem Publikumsjubel konnten sich die MusikerInnen nicht entziehen: es gab – selten genug im Orchesterkonzert – eine Zugabe: die nichts weniger als herrliche Hebriden-Ouvertüre von Felix Mendelssohn Bartholdy. Ute Schalz-Laurenze