montagsmaler
„Alles, was ich will, ist, nichts mit euch zu tun haben!!“
: Der Teufel ist weiß

Auf dem Hof schreit ein Kind. Aber im Grunde spricht es nur aus, was ich empfinde. Denn der einzige Lichtblick in meiner Bekanntschaft bin inzwischen ich selbst, und das obwohl ich mir aus dem Weg gehen würde, wenn ich die Wahl hätte. „Habt ihr gesehen, wie unrealistisch die Germanen in ‚Gladiator‘ dargestellt sind?“ Das war schon das interessanteste Gesprächsthema der letzten Party, die anderen waren künstliche Befruchtung, Arbeitsamt und 100-Meter-Rekorde aus der Schulzeit.

Früher hätten wir „Siedler“ gespielt, aber das ist uns inzwischen zu anstrengend. Während des einzigen Gesprächs mit einer Frau, natürlich einer jungen Mutti, merke ich, wie peinlich es ist, beim Trinken mit den Lippen in der Flasche hängen zu bleiben und sie aus Angst vor dem schmatzenden Geräusch nicht wieder herauszuziehen. Weil man so auch nicht entspannt reden kann, bleibt man den Rest des Abends allein.

Bisher dachte ich, ich wüsste, wie man auf solchen Partys einen einladenden Gesichtsausdruck vortäuscht, aber diesmal habe ich beim Blick in den Spiegel feststellen müssen, dass ich gerade so guckte wie Klaus Kinski in Cobra Verde, als er wie ein Stück Wild an einen Pfahl gefesselt auf dem Dorfplatz liegt und der verrückte Negerkönig, der den Boden vor seinem Zelt mit den Schädeln seiner Feinde gepflastert hat und ihm vor der Hinrichtung das Gesicht schwarz anmalen lässt, weil der Teufel weiß ist und man den natürlich auf keinen Fall töten darf.

Immerhin habe ich es nicht weit nach Hause und muss nicht aus Angst vor dem Heimweg als Letzter gehen. Am nächsten Tag holt mich ein Kollege zum Boxen ab, zweite Liga, Hertha gegen Merseburg. Das macht uns Schriftsteller eben aus, dass wir uns mit dem Alltag nicht zufrieden geben … Der Wedding liegt nur eine S-Bahn-Station entfernt. Hier haben sie so nah an der Mauer gelebt, dass sie sich die Plattenbauweise abgeguckt haben. Am Kiosk herrscht Meinungsfreiheit, man kann sowohl „Worschestersauce“ als auch „Wuschtersauce“ zum Fleischspieß bestellen.

Vom Bahnsteig Bornholmer Straße aus kann man in die winzigen Schrebergärten spucken. Ein Kirschbaum wächst im Schatten der Hindenburg-Brücke. Wer hier seine Freizeit verbringt, der schickt seine Kinder auch zum Boxtraining. Ein dicker Mann mit Halbglatze und Zopf betritt vor uns die Turnhalle, bloß keinen provozieren. Der Boxer auf der Eintrittskarte trägt einen Schnurrbart, und viele der über hundert Zuschauer sind tatsächlich Türken. Der Rest spricht russisch. Alle vom Fach haben eine Boxernase, Kampfrichter, Trainer, sogar manche Väter. Wir wetten auf Sieg, aber es wird schnell langweilig, weil wir immer auf die Türken setzen und nie verlieren. „Hoch die Knochen, Dennis! Doubletten!“, ruft der Trainer der Merseburger, aber Dennis und seine Freunde ergeben sich ihrem Schicksal. Vielleicht sparen sie auch ihre Kräfte, weil sie am Abend noch in den Zungenkuss wollen.

Nach den Kämpfen sehen wir sie jedenfalls hinter der Turnhalle in der Raucherecke stehen. Nachts weckt mich der junge Mann über mir mit Tocotronic. Ironie des Schicksals, für seinen Rummelplatzrave kann ich ihn hassen, aber mit dem Hören von Tocotronic tröste ich mich doch gerade über die Existenz solcher Menschen wie ihm hinweg. Und jetzt kann ich nicht einschlafen, weil wir beide den Text mitsingen: „Alles, was ich will, ist, nichts mit euch zu tun haben!“

Morgens im Bad denke ich, wie schön es ist, dass 24 Stunden genau reichen, damit das Handtuch wieder trocknet. Wenn der Tag kürzer wäre, würde man sich etwas einfallen lassen müssen. Auch wenn das sicher nicht der Hauptgrund dafür ist, dass er 24 Stunden dauert, so ist es doch ein angenehmer Nebeneffekt.

JOCHEN SCHMIDT