So weich, so zart, so sexy

1970 übersetzte Joseph Fischer für Olympia Press Hardcore-Pornos. Sind diese Torpedos der Aufklärung jetzt wieder aufgetaucht? Eine Recherche von Kommissar Zufall (Teil 1)

Wieder einmal saß ich in der heimlichen deutschen Hauptstadt, dem ICE-Speisewagen. Eine an Hals und Händen sehr goldgespickte ältere Dame setzte sich an den Tisch und bestellte hektisch Weißwein. Man konnte ihr ansehen, dass sie viel Weißwein bestellt hatte in den letzten Jahren. Ihr Gesicht war gedunsen, schlaff und faltentraurig. Aus ihrer Handtasche, die aussah wie eine dicke tote Katze, zückte sie ein Heftchen. Was Leute lesen, hat mich schon immer interessiert. Und wenn es die Packungsbeilage ist – ich will und muss das wissen. Die Frau schien fasziniert von ihrer Lektüre, die sie mit offenem Mund und blanken Augen verschlang. Was sie wohl las? Günter Grass? Meine Neugier wuchs; allenfalls halbwegs unauffällig versuchte ich, einen Blick auf die Titelseite zu erhaschen. Der Kellner brachte den Wein, sie legte das Heft auf den Tisch. Mit leicht verrenktem Halse spinkste ich auf die Titelseite und las: „Sexy Cora Tiffany: So weich, so zart, so sexy“.

Hmmh. „So weich, so zart“ klang nach Klopapier, nach der soften Hakle-Nummer. Das sollte „sexy“ sein? Pimmelgerade vom Banalen ins Anale? So genau wollte ich das lieber nicht wissen. Der literarische Neugierteufel aber ließ nicht locker. Als die Frau einen Anruf bekam und erfreulich höflich zum Telefonieren den Speisewagen verließ, ergriff ich Chance wie Heftchen und begann hektisch zu lesen:

„ ‚Sei bitte ganz besonders zärtlich‘, hauchte sie. ‚Ich bin aus dem Osten.‘ Fernando, der stellungslose Neurologe aus Würzburg, wusste sofort, was von ihm verlangt wurde: nehmen und nageln, nehmen und nageln. Es war wie ein Singsang aus Sing-Sing, ein Mantra, wenn nicht sogar ein … tja, was nur? Fernando kam ins Grübeln. Was sollte das alles? Tagein, tagaus dieser Geschlechtsverkehr. Mit allen Schikanen, heiß, wild, ungezügelt und, wie es immer hieß: ohne Tabus! Das ist doch kein Leben mehr, dachte er traurig und hielt inne. Die Frau unter ihm hüstelte dezent, zwickte ihn gut gemeint, aber schmerzhaft in sein Glied und gab ihm einen aufmunternden Klaps auf die rechte Pobacke. Also gut, seufzte er desillusioniert bei sich, nicht ablenken lassen. Stumpf dachte er an das, was Dale Carnegie der Welt eingehämmert hatte: Nörgele nicht, nagle! Nörgele nicht, nagle! Aber war das wirklich die Lösung? Fernando hatte von der Speise des Zweifels gekostet; nie wieder würde er derselbe sein, er, das Kind von Torremolinos …“

Oha – war das vielleicht einer der Pornos, die der heutige deutsche Außenminister Joseph Fischer 1970 unter Pseudonym für Olympia Press übersetzt hatte? Wohl kaum. Der Stoff war viel zu florasoft für Fischer. Der hatte damals Hardcore übersetzt – Angebote quasi, die Hardo Wichmann, der stotternde Buchhändler und gestrenge Olympia-Press-Porno-Lektor, nicht hatte ablehnen können. Also nicht das Zeug, das meine Tischnachbarin begeisterte, die, kaum an ihren Platz zurückgekehrt, den kleinen Finger der linken Hand in den Mund steckte und weiter Zeilen einsog. Dass ich mir schon als 15-Jähriger im Bessy-Versand eine Röntgenbrille bestellte, kam mir jetzt zupass: „Gisbert, der beliebte Gesamtschulpädagoge mit den Fächern Deutsch, Reli und Erde, frohlockte: ‚Vulva, Volvic, Vaseline, Volvo, Viva, Vagina‘, trällerte der sportliche Vertrauenslehrer und ergoss sich mitten auf die Veranda seines schmucken Einfamilienhäuschens. Aus der Voliere pfiffen die Vögelein, das Küchenradio spielte Mozarts Zauberflöte. Gisbert aber kehrte zu seiner Vorlage zurück. Vanessa muss volontieren!, schoss es ihm durchs Hirn – und direkt in die Lenden. Auf dem Wachstuch volontieren, dachte er noch, als ihm abermals eine zähe Ladung Lustkleister um die Ohren flog.“

Das mochte wohl ein Stoff für den dutzendfachen Alimenteabdrücker Gotthilf Fischer sein, nicht aber für Joseph Fischer …

WIGLAF DROSTE

Teil 2 und Schluss morgen