„Große schade“ – Dortmund leidet mit Stil

Da Koller und Kollegen trotz bester Torchancen nur einmal treffen, freut sich der FC Schalke 04 über einen Punkt

DORTMUND taz ■ Matthias Sammer, als Spieler zwar ein Großer, aber mit dem Makel der Ehrgeizzerfressenheit behaftet, hat als Trainer schwer dazugewonnen: In der Pressekonferenz nach der mit 1:1 beendeten Bundesligapartie zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 sagte er auf Nachfrage: „Ich bewerte die Leistung des Schiedsrichters nicht.“ Pause. „Es bringt ja nichts. Ich sag nix.“ Das war klug und weise – weniger einsichtsvolle Menschen hätten über Schiedsrichter Wack aus Biberach einiges zu erzählen gehabt, schließlich hatte der Mann 90 Minuten lang die Angst zum Ratgeber erhoben und war von einer dubiosen Entscheidung zur nächsten getaumelt. Als die Dortmunder Südtribüne ihn daraufhin mit „Schieber!“-Rufen bepflasterte, rächte sich Wack mit einer albernen gelben Karte gegen Rosicky. Am Ende war seine Furcht vor weiterer Überforderung so groß, dass er die Partie fünf Sekunden früher abpfiff. Einige Dortmunder fanden daraufhin neue Namen für Herrn Wack: Friseur, Sonnenbankier, Eurovisionsgesanggutfinder.

Aber Sündenböcke zu kloppen, ist natürlich auch in diesem Fall Quatsch. Borussia Dortmund hatte Chancen, um wenigstens zwei Spiele zu gewinnen, war durch die Bank feldüberlegen, setzte Schalke unter Druck – und wurde in der 17. Minute durch einen zauberhaften Sonntagsschuss aus 35 Metern düpiert: Oude Kamphuis überlistete den zurücklaufenden Lehmann und den auf der Linie Wache stehenden Dede. Und beim 0:1 blieb es bis zur 50. Minute. Zwar lief das Spiel fast ausschließlich Richtung Schalker Tor, aber Ewerthon, Kehl, Metzelder, Rosicky, Ricken und vor allem Koller versiebten Ball um Ball. Der Ausgleich lag in der Luft und blieb dort auch liegen, denn Fehlpässe häuften sich, und der Dortmunder Druck verdampfte nach und nach in einer Mischung aus Hektik und Harmlosigkeit. Der unglückliche Koller konnte in der 50. Minute immerhin auf Ewerthon ablegen. Der schoss ins Tor, nicht schön, aber wenigstens mal nicht daneben.

Schalke reagierte ruppig, die Treterei wurde giftig. Bis auf ein paar Kontermöglichkeiten für Asamoah und später Agali aber blieb alles beim Alten: Dortmund stürmte und schloss schwach ab, die Schalker Abwehr stand gut, vor allem bei Dortmunder Kopfballversuchen nach Ecken und Freistößen. Richtig ansehnlich wurde das Spiel in den letzten 20 Minuten, nachdem – endlich! – Amoroso eingewechselt worden war. Kaum war der beste Dortmunder Angreifer auf dem Patz, gab es Schönheit, Schnelligkeit und Zug zum Tor; kurz vor Schluß kratzte Schalkes Verteidiger van Kerckhoven den Ball nach einem Schuss Amorosos eben noch von der Torlinie.

Es blieb beim Unentschieden, das für Schalke glücklich und für Dortmund ein Verlust von zwei Punkten war. Rosicky nannte das Ergebnis „große schade“ und traf die Stimmung damit genau: Der Katastrophenfall, mit dem man in Dortmund auch in guten Zeiten instinktiv immer rechnen muss, war zwar nicht eingetreten – aber so richtig freuen wollte sich auch niemand. Das fiel dem Schalker Manager Rudi Assauer leichter: Zigarre in der Flosse kam er in den Presseraum gestiefelt und blaffte: „Hätten wir auch gewissen können.“ Einem älteren Herrn von knapp 80 Jahren tätschelte er nach Mafiosoart, patt-patt, die Wange und erkundigte sich jovial: „Wie geht’s denn, Junge?“ Es erinnerte unangenehm an Auftritte von Gerhard Schröder, der ja eine sehr ähnliche Mixtur von Schiffsschaukelbremsercharme, Kirmesludentum und großer Zigarrenklappe spazieren trägt.

Spätestens nach Assauers Dicke-Backen-Performance konnte man sich an Matthias Sammers zurückhaltender Art erwärmen. Sammer ist Fußball ohne Parvenümanieren und Boulevardgebrüll. Die Kummer gewohnten Dortmunder Fans werden den Leidensdruck bis zum 4. Mai nicht loswerden. Aber seit Sammer Trainer ist, wird in Dortmund wieder mit Stil gelitten.

WIGLAF DROSTE

Borussia Dortmund: Lehmann – Evanilson, Wörns, Metzelder, Dede – Reuter, Kehl – Rosicky – Ricken, Koller, Ewerthon (70. Amoroso)FC Schalke 04: Reck – Kamphuis, Waldoch, van Hoogdalem, van Kerckhoven – Nemec – Wilmots, Möller (86. Vermand), Böhme – Asamoah (62. Agali), SandZuschauer: 68.600; Tore: 0:1 Kamphuis (17.), 1:1 Ewerthon (50.)