Die musikalische Macht des Zufalls

■ Das Atelier Neue Musik unter der Leitung von Christian Hommel begeistert mit den „Sixteen Dances“ des Avantgardisten John Cage im Sendesaal von Radio Bremen

Es spricht für das Musikpublikum dieser Stadt, dass die Konzerte zur Ausstellung in der Kunsthalle „Klänge des inneren Auges“ gut besucht sind; zumindest lässt das erste Konzert im Sendesaal von Radio Bremen darauf schließen. Dieses Konzert verantwortete das Atelier Neue Musik an der Hochschule für Künste, die Leitung hatte der Oboist Christian Hommel. Es war mit „The unanswered question“ von Charles Ives und „The Viola in my life 2“ von Morton Feldman ein wunderbares Programm, in dessen Mittelpunkt die „Sixteen Dances“ von John Cage standen.

Die genau notierten „Sixteen Dances“ für Kammerensemble von John Cage markierten 1950 eine einschneidende Entscheidung in der Suche des großen amerikanischen Komponisten nach ästhetischen Alternativen zum traditionellen Werkbegriff. Cage hatte nach seiner Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus den Zufall entdeckt, eine damals ungeheure und folgenschwere Alternative zum Dogma der seriellen Musik. Der Experimentalmusiker wollte jeden persönlichen Geschmack aus dem Kompositionsprozess eliminieren: „Ich handele nicht mit Absichten, ich befasse mich mit Klängen“, sagte er und wendete diese Idee sogar auf die Vorgabe an, dass er mit den „Sixteen Dances“ eigentlich bestimmte emotionale Zustände charakterisieren wollte, die für die Tanztruppe Merce Cunningham entstanden waren.

Das kleine Ensemble der Hochschule, erweitert um einige Profis, zeigte unter der Leitung von Chris-tian Hommel eine hochprofessionelle Wiedergabe, voller Poesie, voller Sensibilisierung. Hervorgehoben werden muss die schwierige Gratwanderung, die Hommel bewältigte: zum einen, eine verbindliche Gestaltung zu erreichen und zum anderen, gleichzeitig den fragmentarischen Charakter, die Offenheit der Klangwelten Cages zu erhalten.

Den Abend eröffneten zwei Versionen eines der interessantesten Stücke vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts: „The unanswered question“ von Charles Ives, den das Schweigen der Druiden, die nichts wissen, nichts hören und nichts sehen, inspirierte. Dafür steht ein irrealer, harmonisch irrisierender Streicherteppich, der gegenüber den „Fragen“ der entfernten Trompete stumm bleibt. In Morton Feldmans „The Viola in my life 2“ sind von der Viola geradezu schöne, in sich fragend kreisende Melodien zu hören, ebenfalls auf dem Hintergrund einer fast statischen Klangfläche.

Es war bewundernswert, wie die jungen MusikerInnen sich diesen Interpretationen widmeten, die ihnen so gar keine Möglichkeit geben, Virtuosität zu zeigen. Dafür aber unendlich schwer sind im Aufeinanderhören, im Ausbalancieren der fast immer zarten Akzente, im Verschwinden in einem Gesamtklang bei gleichzeitiger Wichtigkeit der eigenen Stimme. Das war hervorragend und lässt ahnen, dass die Konzerte vom Atelier Neue Musik in dieser Stadt ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben werden. Was nach dem unverantwortlichen Wegfall der zeitgenössischen Musik bei Radio Bremen natürlich einen zentralen Stellenwert erhält.

Weitere „Cage-Konzerte“ im Februar: Freitag, 22.2. ab 18 Uhr durchgehend bis Samstag ca. 16 Uhr im Eingangsbereich der Kunsthalle werden die „Vexations“ von Erik Satie 840 Mal gespielt von ca. 50 Bremer PianistInnen. Die Uraufführung 1963 dauerte 19 Stunden und wurde von neun Pia-nisten gespielt. An demselben Freitag gibt es ab 19 Uhr in beiden Sälen der Glocke die „Nacht der Klaviere“, in der sieben namhafte PianistInnen bis Mitternacht große Werke für zwei Klaviere interpretieren werden. Samstag, 23., um 18 Uhr im St.Petri-Dom: Werke von Cage und Satie, von dem Cage gesagt hat, dass er „unabdingbar“ sei. Um 20 Uhr im kleinen Saal der Glocke: „Cage for two“ mit der Sängerin Christine Ascher und der Pianistin Gabriele Wulf. Am 24. interpretiert im Sendesaal von Radio Bremen die Gruppe x-Pol-Batterie die „Variations I“ von John Cage und last but not least beteiligt sich auch das Philharmonische Staatsorchester mit „Cheap Imitation“ und dem „Konzert Nr. 1 für präpariertes Klavier und Orchester“: Bernhard Wambach spielt es am 26. Februar um 20 Uhr im großen Saal der Glocke.

Ute Schalz-Laurenze