Ein Gruß von Tankgirl

Die letzten Minuten im Leben der RAF-Frauen Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller: Die Theatergruppe Kollontai mit „Stammheim Proben“ unter der Regie von Fred Kelemen in den Sophiensälen

Unter Studenten ist es beliebt, Seminararbeiten schon im Titel in symbolische Anführungszeichen zu setzen: „Annäherung an …“ heißt es dann oder „Versuch über …“. So kann man sein Halbwissen kokett in den Status des Sogenannten erheben und ist folglich für das so Gesagte nicht mehr haftbar zu machen. Im Theater erreicht man diese sich philosophisch gerierende Einstellung zu den eigenen Erzeugnissen mit der Rahmensetzung eines Spiels ums Spiel.

Der für Regie und Bühne verantwortliche Fred Kelemen entrückt die Protagonistinnen in einer Zelle aus zarten Gazeschleiern und platziert eine so genannte Regisseurin an einem kleinen Tischchen davor. Die drei jungen Schauspielerinnen der neuen Theaterformation Kollontai treten in ihrer ersten Produktion als Terroristinnen auf: Sie sind Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller in den letzen Minuten ihres Lebens. Der Titel: „Stammheim. Proben.“

Ein Theaterabend, der vorsichtshalber als Versuchsanordnung deklariert wird. Zu Anfang baumeln Meinhof und Ensslin an der Decke, im Tode werfen sie lange Schatten. Die Gehängten schwingen sachte hin und her, ihre Gestalten erinnern, mahnen, erzählen. Aber was? Also stehen sie auf von den Toten, um Zeugnis abzulegen, rufen: „Kann uns hier mal jemand runterholen?“ Auf Heroisierung folgt Banalisierung, aber dem einen gelingt es nicht, das andere aufzubrechen. In diesem Moment wird das Problem dieses „Abends über das Erzählen von Dingen, die sich dem Erzählen entziehen“ zum ersten Mal deutlich. Erzählen oder nicht erzählen, das ist hier die Frage, und wenn ja, dann was und wie?

Der Text ist ein seltsam verschwiemeltes Konglomerat aus RAF-Parolen, Alltagsgesprächen, Provokationen und existenziell philosophischen Tiraden, Plattitüden werden mit christlichen und romantisierenden Deutungsmustern versetzt. Der Autor Oliver Czeslik ist hier auf der Suche nach seinen Personen, und das Mäntelchen der Anspruchshaltung bedeckt seine große Ratlosigkeit nur mangelhaft. Die Gruppe Kollontai sucht sich die Autoren passend zu den Themen, erklärte Absicht ist es, „andere Bilder von Frauen auf der Bühne zu suchen“, „sich mit Revolutionärinnen, Verbrecherinnen, Visionärinnen zu beschäftigen“. Klar, Meinhof, Ensslin und Möller taugen als Frauen-Suchbilder, aber der Text stanzt die Figuren nur aus, löst sie aus jedem historischen, politischen und biografischen Kontext und rettet sich aus dem Ungefähren dann wieder ins Klischee. „Wenn du da so hängst, hast du einen ganz hübschen Hintern“, sagt Gudrun zu Ulrike.

Terroristinnen sind eben auch nur Frauen, und dass die Regie sich in Szenen wie diesen nicht festlegen mag, verkauft sie uns als „offene Form“. Wollte nicht Gudrun mit ihrem „Andie, ach Andie“ wie jede andere da am Strand mit ihren weißen Shorts und ihrer braunen Haut, Sonne in den Augen, glücklich werden? Und hinterher Liebe auf dem Küchentisch – davon träumt sie.

Stattdessen fliegt ihr Geist, umnebelt von Gitanes-Rauch, mit der Feueraxt in der Hand, über den Dächern der Gefängnisanstalt zwischen Gut und Böse. Die Revolution als romantischer Comicstrip, warum nicht? Aber auch dafür fehlt es der Inszenierung an Konsequenz. Während die beschworenen revolutionären Geister immer weiter mit wattigen Textfetzen nur ausstaffiert, aber nicht konturiert werden, verstärkt sich der Eindruck der unfreiwilligen Effekte, hervorgerufen durch eine hilflose Regie. Da wird die Zwangsernährung als Albtraum rekapituliert, und während Natascha Bub die erinnerte Erniedrigung dramatisch wiederbelebt, stehen die Schwestern im Geiste ihr bei. Gemeinsam fassen sie ihre sich steigernde Empörung in dem Ausruf: „Trotze dem Gummischlauch!“ Wie ist das jetzt zu verstehen? Aber das so Gesagte ist ja nicht so gemeint, sondern nur so genannt.

Während wir noch darüber nachdenken, schauen uns die Gesichter von Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin aus den eingespielten Dokumentaraufnahmen, über die Zeiten und über den missglückten Theatertrip hinweg, so seltsam eindringlich an. Immerhin das hat der Abend in Anführungsstrichen gezeigt – wie wenig wir doch über sie wissen. REGINE BRUCKMANN

19. – 24. Februar, 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstraße 18, Mitte