salt and pepper
: Eine Ausstellung über die Nazi-Spiele 1936

Prächtig hinters Licht geführt

Avery Brundage war von 1952 bis 1972 Präsident des Internationalen Komitees (IOC), zuvor lange Jahre Chef des NOK der USA (USOC). Treu ist er sich die ganze Zeit über geblieben. „The Games must go on“, sagte er 1972 in München nach dem Attentat auf die israelischen Sportler. „The Games must go on“, sagte er auch schon 1935, als eine breite Bewegung in den USA für den Boykott der Spiele 1936 in Berlin eintrat.

Die amerikanische Debatte über die Nazi-Spiele ist ein wesentliches Segment der hervorragenden Ausstellung „The Nazi Olympics. Berlin 1936“, die während der aktuellen Winterspiele in der Bibliothek der University of Utah in Salt Lake City stattfindet. Von den Olympiatouristen verirren sich allerdings nur wenige hierhin, berichtet die Dame am Informationsschalter, die meisten kommen nur bis zum Rice-Eccles-Stadium, Schauplatz der Eröffnungs- und Schlussfeier, wo sie voller Begeisterung das hässliche Ungetüm aus Stahlrohren mit Freunden und Verwandten im Vordergrund fotografieren. Der Vorlesungsbetrieb ruht während der Spiele, der weitläufige Campus ist einigermaßen verödet und teilweise mit Sicherheitszäunen durchzogen.

Gut besucht ist die Ausstellung trotzdem, und die Einträge im Gästebuch verraten, dass die meisten Besucher sie nicht nur bestens informiert, sondern begeistert, gleichzeitig aber auch erschüttert verlassen. Erschüttert vor allem auch über die damalige Haltung ihres Landes.

Dargestellt wird auf übersichtlichen Schautafeln zunächst die Nazifizierung des deutschen Sports, der systematische Ausschluss jüdischer Sportler direkt nach der Machtergreifung und die Instrumentalisierung des Sports für die propagandistischen und militärischen Ziele der Nazis. Aus einem Monitor im Hintergrund brüllt Goebbels, aus einem anderen versichert ein jugendlicher Avery Brundage, dass die Nazis nichts Böses im Schilde führen.

Die Olympischen Spiele waren Berlin schon 1931 zugesprochen worden, ein Erbe, das Hitler wegen der internationalen Dimension verabscheute, bis ihm Goebbels den propagandistischen Wert darlegte. USOC-Präsident Brundage war nur zu bereit, den Nazis auf den Leim zu gehen, ließ sich bei einer Reise nach Deutschland von seinen Gastgebern prächtig hinters Licht führen und behauptete fortan, es gebe keine Diskriminierung von Sportlern in Deutschland. Außerdem solle man sich nicht in eine „Juden-Nazi-Auseinandersetzung“ einmischen.

Ausführlich dokumentiert wird der Machtkampf zwischen Brundage und Jeremiah Mahoney, dem Präsidenten der Amateur Athletic Union (AAU), einem glühenden Befürworter des Boykotts, der auch von den großen Zeitungen des Landes, etwa der New York Times, unterstützt wurde. Brundage setzte seine ganze Macht ein, verschickte Broschüren, schrieb Artikel, hielt Reden und setzte sich schließlich in der AAU knapp durch. Mahoney trat zurück – und Brundage übernahm seinen Posten gleich mit. Nachdem die USA den Boykott verworfen hatten, zogen die meisten anderen Länder nach. „Die Welt“, so heißt es in der Einführung zur Ausstellung, „hatte es versäumt, einen Standpunkt einzunehmen, der vielleicht den Widerstand gegen die Nazityrannei gestärkt hätte.“

Ein anderer Aspekt, dem die Ausstellung breiten Raum widmet, ist die überraschende Haltung der Afroamerikaner zum Boykott. Die meisten ihrer Zeitungen sprachen sich nämlich strikt dagegen aus. Sie versprachen sich von Siegen ihrer Sportler eine Erschütterung der Rassentheorien der Nazis und warfen den Boykottbefürwortern nicht zu Unrecht Heuchelei vor, weil sie sich um Grausamkeiten in anderen Ländern sorgen würden, aber die vor ihrer eigenen Haustür gegenüber den Afroamerikanern ignorierten. Präsident Roosevelt hielt sich im Übrigen, anders als Jimmy Carter 45 Jahre später, aus der Debatte heraus, weil er meinte, dies sei eine Angelegenheit des Sports.

In der Ausstellung dokumentiert wird des weiteren natürlich die Vorbereitung und Durchführung der Berliner Spiele. Etwa die temporäre Entfernung antisemitischer Plakate oder die detaillierten Anweisungen von Propagandaminister Goebbels an die deutsche Presse, während Olympia auf rassistische Verunglimpfungen zu verzichten. Woran er sich nach den Siegen von Jesse Owens selbst nicht hielt, als er erklärte, die weißen Amerikaner sollten sich schämen, sich von „Hilfstruppen“ die Medaillenbilanz polieren zu lassen.

Wie die Propagandastrategie der Nazis aufging, demonstriert ein Jubelartikel aus der New York Times, welcher der Überzeugung Ausdruck verlieh, dass die Nazis tatsächlich dazugelernt hätten und Deutschland „in den Zirkel der Nationen“ zurückgekehrt sei. Eine Hommage an während des Holocaust umgekommene Sportlerinnen und Sportler wie Werner Seelenbinder, Roman Kantor oder Johann Trollmann verdeutlicht als Schlusspunkt der Ausstellung, wie sehr sich die Welt damals irrte. Der Karriere des Avery Brundage hat seine Sympathie für die Propagandashow der Nazis im Übrigen nie geschadet. MATTI LIESKE