jenni zylka über Sex und Lügen
: Erst mal können können

Wer zu viel säuft, dem gibt’s der Herr im Schlafanzug – und andere gruselige Impotenz-Lügen

„Sind das Nissen?“, war, wenn ich mich nicht irre, hihihihi, das Unerotischste, was je jemand beim vorspielerischen Übers-Haar-Streicheln zu mir gesagt hat. Huah. Danach war die Stimmung ein paar hundert Grad Celsius kälter bzw. Klappe zu, Affe tot, Zirkus pleite. Allerdings kommen Frauen bekanntlich recht einfach wieder in Schwung, ein paar ölige Komplimente, die richtige Bewegung am richtigen Ort, und schon läuft die Luzie. Das altmodische Ondit von der frigiden Frau hält sich nur noch in Nischen wie oberbayerischen Dorfstammtischen oder schlecht geschauspielerten deutschen Wirtschaftswunderdramen. In Wirklichkeit, behaupte ich jetzt einfach mal vollmundig, brauchen Frauen meist nur die nötige Ruhe und den/die passendeN KüsserIn, um sich untenrum jederzeit ihres Lebens zu freuen.

Ganz im Gegensatz zu Männern. Darum gibt es das Phänomen Viagra, über das, so scheint es, sich vor allem die Pharmaindustrie einen zweiten Bauchnabel freut, und die operierfreudigen Ärzte, die an viagrageschädigten Patienten üben dürfen. Darum gibt es Aphrodisiaka-Ökoläden, die zerstoßene Krokodilstränen, Ingwerknollenpasten, Nasenbärnasenhaare und schleimigen Guaranasud verkaufen. Darum gibt es herzzerreißend schlechte TV-Werbespots für potenzsteigernde Wundermittel. Und darum ist das Thema Nicht-so-können- wie-man-will ein so vielschichtiges. 19 verschiedene Formen der Impotenz zählt ein landläufiges Sexuallexikon auf. Meine Lieblingsform ist natürlich die so genannte Idiogamie. Der Begriff, den der italienische Arzt Paolo Mantegazza 1908 geprägt hat, bezeichnet „die Unfähigkeit, mit mehr als einem einzigen Menschen koitieren zu können“. Und zwar nicht gleichzeitig, sondern überhaupt. Das bedeutet, dass IdiogamistInnen nur mit dem/der Richtigen können, oder gar nicht. Süß! Pech natürlich, wenn der/die Richtige neuerdings der/die Falsche ist, einE ExfreundIn oder ein Popstar, der in Neverland wohnt oder im Himmel.

Interessanterweise scheint die Anzahl der IdiogamistInnen in den letzten Jahrzehnten wieder kontinuierlich zu steigen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde, von ein paar IdiogamistInnen vor dem Coming-out, die Aktion „Wahre Liebe wartet“ ins Leben gerufen. Die Warter und Warterinnen erkennen sich an einem gelben Anstecker oder gelben Aufklebern, auf dem etwas Lilienähnliches von den Buchstaben „Wahre Liebe wartet – Du bist es wert“ umrankt wird. Mein Exemplar dieses Aufklebers ist fast noch ungebraucht. Ich bewahrte es eine Weile in einem kleinen Plastikdingsbums mit Bändchen auf, in dem man sonst Berlinale-Ausweise oder Fraunhofer-Institut-Besucherpässe mit sich herumträgt. Mit diesem Schild um den Hals versuchte ich damals, echte IdiogamistInnen kennen zu lernen, um an ihnen zu forschen. Die einzigen Reaktionen, die ich darauf einsammelte, kamen allerdings von Nicht-IdiogamistInnen. Die Menschen schienen sogar eine regelrechte Idiogamieangst zu entwickeln, wenn ich mit einem entrückten Lächeln die Vorteile des Wartens auf den/die EineN erklären wollte. Auch bei Langzeitpärchen stieß ich auf Unverständnis. „Wer sieben Jahre mit derselben pennt, gehört mit einem Idiogamie-Ausweis ausgezeichnet!“, versetzte ich einmal trotzig einem verwunderten, flirtunwilligen Langzeitpärchen-Teil. Aber der wollte davon nichts hören.

Eine andere Art der Impotenz ist die Erektionsangst, die es lustigerweise auch bei Frauen geben soll, wie Phallusfreund Freud, natürlich!, behauptet. Im Falle der weiblichen Erektionsangst hätten die Damen aber nicht Angst davor, dass bei ihrem Partner „the south will raise again“, sondern dass bei ihnen selbst im Schritt etwas passiert, was sie nicht beherrschen können. Symptomatisch für den männerfixierten Klemm-Ösi, dass er diese angebliche urweibliche Befürchtung mit Begriffen aus der Männerkörper-Biologie belegt. Aber lassen wir ihm den Spaß und stehen zu unserer damenhaften Erektionsangst.

Ich nehme an, dass Erektionsangst bei Männern nur bis etwa zum Schöffenalter richtig weit verbreitet ist. Jedenfalls habe ich noch nie erwachsene Kerle jammern hören: „Ich glaube, ich kann heute gar nicht zum Britney-Spears-Konzert gehen, ich hab so Erektionsangst!“ Wobei ich gerne in meine unmaßgeblichen Überlegungen mit einbeziehe, dass 1. erwachsene Kerle ohnehin nicht freiwillig zu Britney-Spears-Konzerten gehen sollten und sie 2. auch tunlichst darauf achten würden, dass keine spitzohrigen Kolumnistinnen in der Nähe stehen, wenn sie sich ihre Ängste gestehen.

Als phänomenalen taz-Service würde ich jetzt noch ein uraltes Nähkästchen-Rezept gegen die meistverbreitete Art von Impotenz an den Schluss stellen: Impotentia Alcoholica. Die gibt es bei Männern wie bei Frauen, sie äußert sich im (wenn man Pech hat geräuschvollen) Einschlafen, bevor irgendjemand auch nur irgendetwas in Richtung fremde Körperteile gestartet hat. Es gibt zwei effektive Methoden dagegen, wobei sich die eine („alkoholische Getränke meiden“) für den einen oder die andere wiederum als kontraproduktiv herausstellen könnte. Die andere ist einfacher: Was (bzw. wem) du’s heut nicht kannst besorgen, das verschieb doch ruhig auf morgen (früh).