village voice
Knispern und Kuscheln mit Christian Kleine und Static
: Wohlklang auf Erden

Breite Akkorde bauen sphärische Flächen, hypnotische Basslinien schleichen daher, Sequenzer tuckern sanft, im Hintergrund knuspert und knispert es, liebliche Samples brauen sich ganz unbedrohlich zu posierlichen Melodien zusammen. Christian Kleine führt auf „Valis“, seiner zweiten langen Veröffentlichung innerhalb von nicht einmal sechs Monaten, den mit „Beyond Repair“ begonnenen Ansatz konsequent fort und vertont in diesmal sechs Tracks mal wieder überaus erfolgreich die Stimmung eines melancholisch verdaddelten Sonntagnachmittags.

Die Musik des Eigenbrötlers aus Prenzlauer Berg passt ganz wundervoll in diesen seltsamen, aus dem Gleichgewicht geratenen Winter, weil sie mit ihrer endlosen Seelenruhe verlorene Balance zurückholt. Es ist Musik, die nicht mehr sein will, als sie ist, nämlich sanft beruhigende Electronica, und keine Forderungen stellt, keine Gefühle aufdrängt und so eine ideale, fast vollkommen leer geräumte Hintergrundfolie bietet, auf der sich vor allem Entspannung breit machen kann und sonst nichts. So klingt „Valis“, als könnte man mit ihr den Balkan beschallen und so wie durch Zauberklang Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen schaffen.

Verwandte Effekte zeitigt das Debutalbum von Static alias Hanno Leichtmann, der sonst bei Paloma, Ich Schwitze Nie und DJ Attache & The Beige Oscillator mittut. Eine knappe Stunde dauert die Platte, heißt „Eject Your Mind“ und leistet genau das: Wer die ganze Zeit sehr aufmerksam zugehört hat, braucht danach eine Weile, bis er seinen Geist vollständig wieder eingelegt hat – wenn er nicht vorher schon weggedämmert sein sollte.

Im Gegensatz zu Kleine allerdings verwendet die „Catherine Deneuve der Elektronika“, wie de:bug Herrn Leichtmann nennt, etwas metallischere Klänge, lässt bei zwei Tracks sogar Ronald Lippok von To Rococo Rot und Tarwater die Stimme erheben und bei einem weiteren Justine Electra. Deren Sprechgesang ordnet sich aber problemlos ein in den allgemeinen Wohlklang. Manche der Rhythmen immerhin sind nicht vollkommen der Ruhe eines Herzschlag nachempfunden, sondern ein wenig krude programmiert. Aber auch Static scheint mit seiner Musik die Menschheit befrieden zu wollen. Die wenigen Kanten, die noch nicht vollkommen abgeschliffen sind, verstecken sich gut hinter berückend schwebenden Keyboard-Flächen.

Ob bei Static oder bei Christian Kleine, die Töne kuscheln sich in die Unendlichkeit des wohligen Klangs und das alles ist wunderschön so, aber das ist halt auch genau das Problem: Die Beliebigkeit der Euphonie um jeden Preis lässt alle Bewertungskriterien verschwinden. Früher, da gab es nur Vinyl und noch keine Sampler, konnte man bei 2001 Walgesänge bestellen. Die wurden konsequenterweise auch nicht in kritischen Besprechungen gewürdigt.

Zudem stehen Static und Christian Kleine ganz und gar nicht allein da mit ihrer Idee von Electronica als seligem Trancezustand – nicht einmal in Berlin. Der Ansatz war noch revolutionär, als Brian Eno seine Musiken für Aufzüge und für Flughäfen komponierte, und er war noch aufregend, als er wieder aufgegriffen wurde, nachdem die Sample-Technik billig und verfügbar geworden war. Nun aber scheint sich die Electronica, so hoffnungsvoll das alles einmal begann, in ihrer eigenen, glatt polierten Ebenmäßigkeit zu verlieren. Was fehlt, sind ein paar Ecken, ein paar widerborstige Sounds und das muss ja nicht gleich Atari Teenage Riot heißen. Denn wie viele Soundtapeten in ähnlichen Pastellfarben kann man brauchen, auch wenn sie unterschiedliche Namen tragen?

THOMAS WINKLER

Static: „Eject Your Mind“ (City Centre Offices/Morr Music/Indigo) Christian Kleine: „Valis“ (Morr Music/Indigo)