Lach- und Sach-Geschichte

DAS SCHLAGLOCH  von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Kanzler Kurt Georg Kiesinger diente als Verbindungsstelle zu Goebbels’ Propagandaministerium

Mit der grauen Maus und dem liberalen Elefanten. Oder eben Angela und Guido. ’ner ziemlich abgedrehten Vergangenheit und ein paar tollen Tricks, wie man die verschwinden lässt. Das war – Deutsch. Tja, liebe Kinder – leider taugt aber Ludwig Stiegler nicht zum dreisten Lügenbären, und deshalb ist jetzt Schluss mit lustig; Hefte raus, Klassenarbeit.

Die Vorläuferparteien von Union und FDP haben seinerzeit Hitler an die Macht geholfen. Sagt SPD-Fraktionsvize Stiegler. Na und? Der Pazifismus der 30er-Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht – sagte Hein Geiß schon 1983. Und nicht nur er: Die Sozen paktierten damals mit den Kommunisten, statt mit den Bürgerlichen Hitler zu verhindern. Macht unterm Strich: So ziemlich alle politischen Kräfte der Gegenwart können sich von Schuld und Verstrickung in der Vergangenheit nicht freisprechen. Stimmt.

Theodor Heuss. Erster Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor einflussreicher FDP-Mann bei der Formulierung des Grundgesetzes. Stiftete das Bundesverdienstkreuz, machte die dritte Strophe zur Nationalhymne; am Ende sollte seiner Leistungen wegen diesem Bundespräsidenten eine grundgesetzwidrige dritte Amtszeit gegönnt werden, was er ablehnte. Zugestimmt hatte Heuss, und diesen Makel wollte er bis zum Tode nicht bereuen, 1933 dem Ermächtigungsgesetz. 1933 war er Abgeordneter der „Deutschen Staatspartei“, zuvor Mitglied der „Deutschen Demokratischen Partei“, noch zuvor bei der „Fortschrittlichen Volkspartei“. Immerhin hatte Heuss sich für die liberalere der vielen liberalen Parteien Weimars entschieden. Stresemanns Nationalliberale dagegen transformierten sich noch flugs zur „Deutschen Volkspartei“ – DVP, bevor auch sie im Jubelchor der Nazi-Ermächtiger untergingen.

Nicht ganz. Schon im Frühjahr 1946 entstand wieder eine „DVP“, zunächst in Württemberg-Baden. Mitbegründer: Theodor Heuss. Nicht Deutsche, sondern nun Demokratische Volkspartei lautete die Aufschrift, Heuss wurde ihr Vorsitzender, bevor er bundesweit – das führt nun in Rekordnähe – mit der DPD der fünften Partei angehörte, die sich endlich zur sechsten und letzten, der FDP, transformierte. Deren Vorsitzender wiederum, Ritterkreuzträger Erich Mende, ließ es sich nicht nehmen, ordensgeschmückt im Kreise von Nazihelden stille Andacht zu halten und insgesamt den Begriff des deutschen Liberalismus auf neue Rekordbreite zu dehnen. Als Brandt daran ging, die Aussöhnung mit den Opfern des Nazikrieges zu versuchen, schmiss der Tiefenliberale Mende die Brocken hin und ging grummelnd zur CDU. Dies und des liberalen Gründungsmythos Heuss irrlichternde Vergangenheit mag Polemiker Guido Westerwelle nicht mehr so ganz präsent haben. Macht nichts – ein Blick auf Wahlzettel in Baden-Württemberg hilft nach: Da heißt die Truppe noch heute offiziell „FDP/DVP“. Zutreffendes bitte ankreuzen.

Aber Namen sind keine Inhalte, Republicans in Amerika keine hässlichhubernden „Republikaner“ in Bayern; was kann die FDP für ihre lustigen Beinamen. An der Saar etwa heißen die Liberalen bis heute FDP/DPS. Letztere, die „Demokratische Partei Saar“, war 1951 als rechtsradikale Partei verboten worden. 1955 wurde ihre Neugründung zugelassen – als Landesverband Saar der FDP.

Die Neu- und Um- und Wiedergründungen der liberalen Parteien in Deutschland – das duftet nach historischem Hütchenspiel (FDP/HH). Sagt aber in einem entscheidenden Punkt – nichts: Welche Inhalte ragen aus der Vergangenheit in die Zukunft? Und welche Verantwortung, Schuld und Scham retour?

Konrad Adenauer mag die Schläue gehabt haben, diesen Gedanken beim Parteigründen mitzudenken. Sicher dagegen ist, dass er eine weimaröse Zersplitterung der konfessionellen Kräfte zwischen katholischem „Zentrum“ und protestantischeren Kleinparteien vermeiden wollte. So nannte der rheinische Riese seine Neugründung „CDP“, mit „P“ für „Partei“. Dabei drückte das „U“ für Union Adenauers überkonfessionellen Gedanken – die Einigung der Christen in der Politik – noch deutlicher aus. Doch so nannte schon der Bremer Jakob Kaiser seine neue Partei, und dem gönnte Adenauer den Bundesvorsitz nicht. Schließlich bekam er alles – den besseren Namen, den Bundesvorsitz – und die Reinwaschung vom Übelgeruch seiner Partei, des Zentrums. Von 1906 bis zur Auflösung 1933 gehörte er der politischen Kraft der katholischen Soziallehre an. Sein Parteifreund Franz von Papen besaß die beispiellose Chuzpe, am 31. 5. 32 aus dem Zentrum auszutreten, um tags darauf mit dem Reichskanzleramt belohnt zu werden: Er ließ die SA wieder zu, regierte mit Notverordnungen gegen das Parlament, putschte Preußens Regierung weg und dienerte sich schließlich Hitler als bürgerliches Feigenblatt an: Er wurde Hitlers Vizekanzler, und als er endlich ahnte, dass er den Drachen nicht zu reiten vermochte, ließ er sich als Botschafter abfinden. Der Zentrumspartei ist der Verräter Papen nicht anzulasten. Wohl aber der Verrat an der eigenen Sache: Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmte Adenauers Partei geschlossen zu.

Theodor Heuss stimmte 1933 für das Ermächtigungsgesetz, diesen Makel hat er nie bereut

Doch wie die neu gegründete Heuss-Partei DVP den ersten Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg stellte, so regierte in Düsseldorf ab 1946 wieder das Zentrum. Ministerpräsident Rudolf Amelunxen koalierte sich später noch zum Sozial- und Justizminister; wie auch seine Parteifreunde in Bonn Adenauer die Mehrheit zum Bundeskanzler verschafften. Union und Zentrum trafen Wahlkreisabsprachen; klug sicherte man der Zentrumspartei sichere Wahlkreise zu – damit sie die 5-Prozent-Hürde bundesweit absegnete. Und also ihren eigenen Untergang. Man muss Adenauer nicht übel wollen, um zu erkennen, dass er hier eher den politischen Wettbewerber austrickste und weniger aus Abscheu vor dem Zentrum handelte. Schließlich hatte er kein Problem damit, dass sein Nach-Nachfolger, CDU-Chef und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, in Hitlers Außenministerium als Verbindungsstelle zu Goebbels’ Propagandaministerium gedient hatte. Im Gegenteil, die große Koalition des Mittäters Kiesinger mit dem Opfer Brandt galt vielen als Schritt zur endlichen Aussöhnung. Von daher wird verständlich, wie vehement sich die Union hinter die rot-rote Koalition in Berlin stellt.

Was für interessante Histörchen – statt hysterischer Interessen! Ein, zwei Stunden Muße, ein paar gute Lexika und ein Hauch Netzrecherche, und schon steht fest: CDU und FDP verlassen sich, scheint’s, vollrohr auf die Pisa-Studie resp. Ausfall des Geschichtsunterrichts ab der zweiten Grundschulklasse. Vielleicht kommt das alles in genau dem 13. Schuljahr, das die beiden Parteien so gern streichen lassen wollen. Vielleicht macht es heute mehr Sinn, Heiner Geißler zu fragen, ob der Pazifismus Helmut Kohls Srebrenica erst möglich gemacht hat. Vielleicht macht es mehr Sinn, die NPD schlicht durch Mehrheitsbeschluss aller V-Leute aufzulösen. Statt zu verbieten und damit nach außen zu delegieren, womit man sich bei sich selbst so sensationell, so immer wieder immer noch überhaupt nicht auseinander setzen möchte.