Mehr Macht für die Zentralgewalt

Hessische Verfassungsklage ging nach hinten los: Der Bund darf in der Atompolitik auch mit Betreibern mauscheln

KARLSRUHE taz ■ Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) darf mit den Energiekonzernen über die Nachrüstung einzelner Atomkraftwerke verhandeln, auch ohne das jeweils zuständige Land zu beteiligen. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht und lehnte damit eine Klage der hessischen Landesregierung ab. (Az. 2 BvG 2/00)

Konkret ging es um das hessische AKW Biblis A. Wie im Atomkonsens vorgesehen, einigten sich Trittin und Biblis-Betreiber RWE im Juli und August 2000 über ein lange umstrittenes Nachrüstungspaket. Dem Land Hessen wurde anschließend per Weisung mitgeteilt, wie es gegenüber RWE zu verfahren habe. Weil Trittin das Paket direkt mit RWE aushandelte, sah Hessen Landesrechte verletzt.

Dem hat sich Karlsruhe nun aber nicht angeschlossen. In der Atompolitik könne der Bund den Ländern nicht nur Weisungen in jedem Einzelfall erteilen, er könne auch direkt mit den Betreibern reden. Betont großzügig heißt es in der Entscheidung, der Bund könne „zur Vorbereitung und Ausübung seines Weisungsrechtes alle Aktivitäten entfalten, die er für notwendig hält“. Bei solchen Gesprächen müsse der Bund die Länder weder beteiligen noch sie informieren, heißt es im Urteil.

Die beiden konservativen Verfassungsrichter Udo Di Fabio und Rudolf Mellinghoff forderten dagegen in einem Sondervotum, dass der Bund den Ländern wenigstens „Gelegenheit zur Stellungnahme“ geben müsse. Doch die Mehrheit des zuständigen Zweiten Senats formulierte die Grenze der Bundesmacht in der Atompolitik viel zurückhaltender.

Nur die „Wahrnehmungskompetenz“ der Länder sei geschützt, und das heißt lediglich: Der konkrete Bescheid an die Betreiber muss auf dem Briefpapier eines Landes geschrieben werden. Außerdem dürfe der Bund keine „Schattenverwaltung“ aufbauen und für alle Bundesländer den Vollzug des Atomgesetzes durch eigene Kontakte zu den Betreibern regeln.

Mit dieser überraschend bundesfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes ist die hessische Klage nach hinten losgegangen. Jürgen Trittin sprach gestern zwar freudig von einem „guten Tag“, doch auch Rot-Grün dürfte die Entscheidung mit gemischten Gefühlen betrachten.

Schließlich war gerade in Hessen die Konstellation lange Zeit seitenverkehrt: CDU-Umweltministerin Angela Merkel mauschelte mit den Biblis-Betreibern hinter dem Rücken der rot-grünen Landesregierung.

CHRISTIAN RATH