Einmal in die Zukunft und zurück


Bahn-Stratege Christoph Franz ist ein stolzer Vater. Das Automaten-Konzept nennt er sein „Baby“

aus Frankfurt am Main und Berlin KIRSTEN KÜPPERS

Von hoch oben aus dem zwölften Stock sieht die Zukunft wunderbar leicht aus: Landschaften voller Fahrkartenautomaten, ein technisches Universum, wo es nichts gibt, was ein Fingerdruck nicht regeln könnte. Alles wird herrlich einfach werden. Die Kunden werden schnell und zuverlässig von der Maschine bedient, vorbei die Zeiten langer Warteschlangen in den Schalterhallen. Die Mitarbeiter werden entlastet. Die Lobbygruppen loben den Service. Die Geräte sparen Personalkosten und steigern die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Und damit wirklich alles glatt geht, wird es Helfer, so genannte Automatenguides, geben, die in der Anfangsphase den Kunden zur Seite stehen.

So wunderbar leicht stellt sich die Zukunft der Deutschen Bahn AG dar, hoch oben im zwölften Stock einer Schachtel aus Beton und Glas in Frankfurt an Main. Hier entwirft Christoph Franz, Vorstand des Unternehmensbereichs Personenverkehr als Leiter der Strategieentwicklung jene modernen Visionen für die Bahn, die nachher zum Beispiel in Form von Automaten Gestalt annehmen. In der Regel werden die Konzepte, die seine Abteilung sich ausdenkt, erst fünf bis fünfzehn Jahre später für die Bahnreisenden spürbar – wenn sie nicht vorher in irgendwelchen Pilotprojekten begraben werden. Die Ideengeber sind dann oft längst zu Zukunftsabteilungen anderer Konzerne gewechselt. Christoph Franz war früher einmal bei der Lufthansa beschäftigt, aber bei der Bahn ist er ein junger Chef, 41 Jahre alt, und noch dabei, wenn das Projekt bei den Verbrauchern ankommt: 6.500 Geräte hat das Unternehmen in den letzten Jahren aufgestellt, ein zweistelliger Millionenbetrag wurde investiert. Christoph Franz ist ein hoch gewachsener Mann in einem dunklen Anzug, der eine schöne Zukunft vor sich sieht.

Es ist Freitagnachmittag im Reisezentrum am Berliner Bahnhof Zoo. Man kann spüren, wie die Wut als fette, giftige Wolke in der Luft hängt. Eine Gereiztheit, die kommt, weil es vielen so geht wie der jungen Frau, die versucht, dem Fahrkartenautomaten ihre Wünsche klar zu machen. Sie presst den Zeigefinger auf die vorgesehenen Felder des Bildschirms: „Abfahrtsbahnhof“, „Zielbahnhof Göttingen“, „Fahrkarte einfach“, „ohne Reservierung“, „zweite Klasse“, „ohne Bahncard“. Dann schiebt sie die EC-Karte in einen Schlitz und tippt ihre PIN-Nummer ein. „Der Zahlvorgang wurde abgebrochen“, meldet der Automat. Zum dritten Mal schon. „Verdammt, tun Sie doch was!“, schnappt die junge Frau eine Bahnmitarbeiterin in rotem Pullover an.

240 Mitarbeiter in roten Pullovern sollen als Helfertruppe seit Anfang Dezember den Kunden auf 60 zentralen Bahnhöfen der Republik beibringen, wie man am Automaten eine Fahrkarte kauft, sie umgewöhnen vom Fahrkartenschalter auf die Maschine. Das sind die Automatenguides aus dem Konzept von Christoph Franz. Zwei davon stehen im Gewimmel des Reisezentrums am Bahnhof Zoo, „Noch jemand ohne Fahrkarte?“ ist vorne auf die Pullover gedruckt, die rote Farbe sticht aus dem Gewühle hervor. Die beiden Mitarbeiter sind Anfang 50, die Jahre haben die Statur der Frau rund und den Bart des Mannes grau werden lassen, an der rechten Hand baumelt jedem von ihnen eine weiße Plastiktüte, ein wenig hilflos warten sie im Gedrängel der weiten Halle, das Tragen der roten Pullover ist kein angenehmer Beruf, wenn nichts funktioniert. Manchmal streiken alle zwölf Automaten gleichzeitig. Renate Hübner und Jürgen Zerbel müssen sich von gestressten Kunden anschreien lassen, müssen probieren, die Kreditkarte in einem anderen Winkel in den Schlitz zu schieben, müssen den Defekt in einer Liste notieren, mit Gummibärchen und Kugelschreibern, schmeichelnde Sätze sagen, wenn wieder einer schimpft, er steige jetzt wirklich aufs Auto um.

„Man braucht schon ein dickes Fell“, meint Renate Hübner schulterzuckend. Über 30 Jahre arbeitet sie jetzt bei der Bahn. Bevor sie morgens aus dem Haus geht, macht sie sich mit Lidschatten und Lippenstift schön, aber neulich hat ein Mann sie gefragt, ob sie sich nicht schäme, in dem roten Pullover der Bahn. Sie komme jetzt oft mit Bauchschmerzen heim, sagt sie. „Wir vor Ort müssen ja den ganzen Ärger ausbaden.“

Wenn der Bahnmitarbeiter Rainer Kempe über die Zukunft seines Unternehmens redet, klingt es ein wenig pathetisch. So als gehe es um ein dunkles, alles zerfressendes Ungeheuer und nicht um einem leblosen Apparat aus Metall: „Der Automat, der große Konkurrent“, sagt Kempe, der in Wirklichkeit anders heißt, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Kempe verkauft Fahrkarten an einem von 30 Schaltern am Bahnhof Zoo, ein „Knochenjob“, wie er meint, wegen des vielen Betriebs, der hier jeden Tag herrscht. Und trotz der ganzen Arbeit habe man das Gefühl, man gucke zu, wie mit jedem neuen Automaten der eigene Job ein Stück weiter abgewickelt werde. Eine Unruhe, die einen Grund hat: Gegenwärtig werden flächendeckend alle 750 Reisezentren „nach betriebswirtschaftlichen Kriterien“ analysiert, heißt es in einer Mitteilung des Bahnvorstands. Das Unternehmen will Kosten sparen. Und Maschinen sind nun einmal billiger als „personenbediente Verkaufstellen“, wie Schalter mit Menschen dahinter in einer Bahnbroschüre heißen, wenn über Rentabilität nachgedacht wird. Rund 1.000 Stellen stehen zur Disposition, fürchtet die Eisenbahnergewerkschaft Transnet, über Mahnwachen wird bereits nachgedacht.

Fahrkartenverkäufer Kempe ist ein großer Kerl von kräftiger Statur. Für die Zukunft hat er nichts zu befürchten, das weiß er. Das Personal in großstädtischen Reisezentren soll eher aufgestockt denn abgebaut werden. Der Wegfall der Schalter wird kleine und mittlere Bahnhöfe treffen. Aber Kempe ist in der Gewerkschaft organisiert. Wenn er von seinem Unternehmen redet, unterscheidet er zwischen Kollegen und „Schlipsfuzzis“, wie er die Leute im Bahnvorstand nennt. Mit den Kollegen geht man nach Feierabend zum Bowling und zum Tanz in den Mai. Auch Automatenguides wie Renate Hübner gehören dazu. Schließlich sind sie vom internen Arbeitsvermittlungspool auch nur auf diese Jobs gesetzt worden, nachdem ihre alten Stellen irgendwo in der Bahnreform verloren gegangen sind, da ist Kempe solidarisch. Aber die anderen, findet er, die anderen sind eingekaufte Führungskräfte, die eine seltsame Sprache sprechen. „Roll-on“, „Kick-off“ und „facility management“ – Kempe schnaubt verächtlich. Diese Leute, sagt er, tragen ihre neumodischen Ideen auf dem Rücken der einfach Beschäftigten aus, stellen immer nur die Kostenfrage.

Freitagnachmittag, Bahnhof Zoo. Man kann spüren, wie die Wut als fette, giftige Wolke in der Luft hängt

Die Lobbygruppen sind auch nicht glücklich: Hartmut Buyken vom Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert die Bezahlung an den neuen Geräten: „Das darf es nicht geben, dass die Bahn jeden zwingt auf Plastikgeld umzusteigen, nur weil der Automat keine Münzen annimmt“, erklärt er. Das Unternehmen denke sich bei seinen Reformen überhaupt zu wenig in seine Kunden hinein. „Eine Katastrophe“, nennt Annette Volkens vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) die Abschaffung von Fahrkartenschaltern. „Es ist sehr problematisch, wenn an den Bahnhöfen in ländlichen Gebieten nur noch Automaten stehen“. Für viele ältere Leute sei die Bedienung der Maschinen schwierig. Die Apparate könnten auch keine Beratung ersetzen und sie sei jetzt schon gespannt, wie die Bahn ihr neues, ab Dezember dieses Jahres geltende Preissystem damit umsetzen wolle. „Wird der Automat mich etwa verstehen, wenn ich einen Frühbucherrabatt will?“ Annette Volkens lacht kurz und böse ins Telefon.

Der Leiter der Strategieentwicklung Christoph Franz sitzt in seinem Büro im zwölften Stock. Man kann ihn besuchen und ihm erzählen, dass seine Idee nicht so richtig funktioniert: Die Automaten versagen, die Kunden sind verärgert, die Mitarbeiter in roten Pullovern sind hilflos, die anderen Mitarbeiter glauben an Ungeheuer und Arbeitskampf, die Lobbygruppen schimpfen. Lässt einen das an der Zukunft zweifeln?

Christoph Franz lehnt sich zurück. Man darf nicht vergessen, dass er ein professioneller Stratege ist, einer, der vom Fahrkartenautomaten-Konzept als seinem „Baby“ spricht. Vom ersten Gedanken über die Phase der Baupläne, der Verlegung der Kabel und der Softwareeinspielung bis hin zur Euroumstellung und den roten Pullovern der Automatenguides hat er das Projekt begleitet. Und er ist ein stolzer Vater, weshalb er alle Kritik mit einer schlenkernden Handbewegung vom Tisch fegt. Die Software sei daran schuld, dass manche Automaten derzeit nicht einwandfrei liefen, in den nächsten Monaten soll das behoben sein, nur eine technische „Kinderkrankheit“. „Man kann es nicht allen recht machen. Ein Sanierungsprozess erfordert immer unangenehme Entscheidungen“, fügt er hinzu, „so haben wir in den letzten Jahren den Personalbestand von 350.000 Mitarbeiter auf rund 215.000 Mitarbeiter verringert – ohne betriebsbedingte Kündigungen.“

Christoph Franz ist einer, der hastig redet, das kantige Kinn schnellt nach vorne, die Gedanken fliegen schon einen Schritt weiter, das gehört zu seinem Job. Er denkt an Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilitätskurven, eine Zukunft, an deren Ende irgendwo der mögliche Börsengang des Unternehmens leuchtet. Der Weg dorthin mag jetzt noch über rote Pullover und Automaten führen, aber vom zwölften Stock sieht die Zukunft wunderbar leicht aus, längst schwebt schon das nächste Luftwesen vor den Augen des Strategen: die elektronische Chipkarte. Alles würde herrlich einfach werden. Fahrtgeld und genutzte Wegstrecken wären auf der Karte gespeichert, ein Sender im Zug könnte diese Daten automatisch abrufen und die Preise wären auf jeden Fahrgast persönlich zugeschnitten. Christoph Franz schnipst mit dem Finger. Es ist eine schöne Zukunft, die er vor sich sieht.