Momentweise Andersartigkeit

■ Emanzipatorische Musikgeschichte und improvisiertes Interview: Das Free Jazz-Trio BST

Walter Berger, Christian Schaeffer und Klaus Theweleit bilden die freie Jazz-Improvisationscombo BST. Im Rahmen der Vorstellung des neuen Buches von Theweleit und Gustav Kluge, Abanonymes Faces Faeces Fantoms und der Ausstellung von Kluges 44-teiligem Bilderzyklus „Löschungen“ verfertigen die drei Freiburger Klänge beim Spielen zu Musik, wie einst MC Kleist gesagt hat und im Klappentext zur BST-CD Viosilence zitiert wird.

Etwas zwischen Violence und Silence also, zwischen dem die Instrumente wild hin und hergewechselt werden. Freie Musik, für die der Theoretiker Theweleit die Tastatur mit dem Griffbrett der Gitarre vertauscht und einer von dreien ist, statt solistisch auf dem Wörterkeyboard zu klappern. Zusammenfügung der Kräfte, die im „Fortune Cookie Interview“ mit den drei Beteiligten zur Beschreibung der Klang gewordenen Sprache dienlich sein soll – im Sinne der freien Improvisation. Die Fragen wurden gezogen wie die Instrumente vor und während der musikalischen Kellersessions. Jeder spielt und beantwortet, es wird dazwischengeredet und -gerüffelt. Es holpert und wankt. Hier wie dort. Ähnlich wie Monk auf dem Klavier, listen up.

taz hamburg: Hört ihr gemeinsam andere Musik als eure eigene?

Walter Berger: Ein Großteil der Musik, die wir hören, ist nicht unsere eigene.

Christian Schaeffer: Großteil würde ich nicht sagen.

B: Ich bringe manchmal ein Band mit, das ich vom Radio mitgeschnitten habe. Das ist dann irgendetwas, dessen Namen ich nicht kenne.

Klaus Theweleit: Alle Free-Sachen, die neu auftauchen. Aber wir hören sie nicht aus Prinzip durch. Kann sein, dass nach zwei Stücken die Meinung herrscht: „reicht“. Das ist meistens ein einstimmiger Beschluss.

S: Bei John Zorn war das nicht so.

T: Oder wir hören auch mal ein Cello-Konzert von Rihm. Da sind wir uns nach zehn Minuten einig: „reicht“. Nicht weil es schlecht ist, sondern weil wir das in gewisser Weise schon kennen. Also generell gilt, die Free-Leute sind soundmäßig besser als die Komponisten, ganz gleich wer es ist. Manchmal sagen wir auch: Muss nicht free sein. Dann hören wir Aretha Franklin.

S: Wenn wir Lust auf eine Frauenstimme haben, dann ist Klaus' Plattensammlung groß genug, um etwas rauszuziehen.

B: Man kann sagen: Je später der Abend desto oller die Kamellen.

T: Wenn es nicht so inte-ressant ist, dann machen wir weiter, ein Knopfdruck von fünf auf sechs. Ich hole mir das Papier aus der CD und markiere die Stücke, die ich gut finde. Bei anderen mache ich eine Welle hin: „Weiß nicht so genau“.

Inwieweit muss man sich als freier Musiker disziplinieren, um nicht harmonisch zu werden?

T: Das muss man gar nicht.

S: Kein Problem.

T: Denn Cello oder Gitarre sind nicht nach dem gängigen Schema gestimmt, nur das Klavier. Es gibt aber Momente in den Stücken, da beschränken wir uns auf einen Ackord und fallen in ein Harmonieset, in ein Ostinato. Das macht Spaß und wir bleiben dabei, auch wenn wir es hinterher beim Anhören langweilig finden.

S: Du (T.) sitzt manchmal schon am Klavier und spielst ein Dylan-Stück. Das klingt wunderschön in dem Raum. Und vielleicht hat man das noch im Ohr, wenn man anfängt zu dritt zu spielen, oder es taucht einfach mal wieder auf – unbewusst.

T: Wir haben auch schon mal ein Stückchen Mozart verwendet.

B: Bei mir sitzen die Sachen eben in den Fingern. Ich würde das nicht nur auf das Harmonische beschränken, sondern auch auf das Rhythmische. Rhythmisch müssen wir uns furchtbar disziplinieren, wenn wir uns etwas vorgegeben haben.

Während euer Sessions tauscht ihr die Instrumente. Wann?

B: Das passiert während des Stücks.

T: Wir lassen normalerweise ein Band mitlaufen. 45 Minuten. Aber es kommt auch mal vor, dass nach 20 Minuten Schluss ist.

S: Und das jede Woche.

T: Es gibt oft Unterbrechungen. Das Wechseln der Instrumente passiert nach ein paar Kriterien. Man denkt, jetzt ist genug oder das läuft sowieso nicht, oder ich habe keine Puste mehr oder Walter hat sich am Cello die Finger aufgerupft und eine Blase dran.

S: Komischerweise merke ich ganz genau, wenn ich das Instrument wechseln muss: Wenn zum Beispiel die Finger immer das Gleiche machen. Oder mir geht es so, dass ich einen bestimmten, geblasenen Ton hören will, dann lasse ich das Schlagzeug sein und nehme ...

T: ... die Flöte. Schlagzeug, Flöte, Geige, Klavier sind bei dir die Hauptinstrumente. Bei mir sind es Gitarre, Saxophon, Muscheln, Geräusche, auch ein bisschen Schlagzeug, auch Klavier, Bassklarinette, der Schlauch, ein selbstgebautes Ding. Walter ist Spezialist in Cello, Klavier und Trompete, auch Flöte, auch Schlagzeug.

Gab es Zeiten, in denen euch eure Musik langweilte?

T: Ja klar, gab es immer ...

S: Ja.

T: ... und gibt es auch noch. Jede zweite, dritte Produktion findet man eher langweilig.

B: Das wird sofort gelöscht.

S: Für mich ist das sehr angenehm sagen zu können, ohne jemandem oder sich selber Gram zu sein: Schrott, Schrott gemacht. Es ist also nicht jeder Ton, jede Note so wertvoll, dass man sagt, was habe ich jetzt für einen tollen Haufen gekackt.

T: Als Haltung höchst peinlich, alles gut zu finden, was man macht. Schrecklich.

S: Obwohl ich beim Spielen schon manchmal solche Gefühle habe. Man denkt ...

T: ... super.

S: Und dann hören wir uns das an, gucken uns so an und denken: Was für ein Schrott.

Ihr zitiert Albert Ayler: „Music is a healing force“. Von was heilt Musik euch?

T: Pickel.

S: Für mich gab es in dieser ganzen Zeit fünf, sechs oder vielleicht auch mehr Musikabende, an denen es mir vor dem Spielen schlecht und hinterher besser ging. Das Schlagzeug eignet sich auch ganz gut, um etwas loszuwerden. Auch die Kontinuität und die Unumstößlichkeit dieser Musikgruppe, die Beziehungen und Freundschaften überdauert, bringt einen schon über die Dinge.

B: Ich habe Musiktermine auch schon so benutzt. Ob es mich geheilt hat, ist eine andere Frage. Wenn es einem danach besser geht, ist man nicht geheilt, aber eine heilende Wirkung hat es auf jeden Fall. Ganz klar.

S: Ich finde das „heilend“ schon ein bisschen zu hoch gegriffen.

B: Ich kann auch ein Bach-Präludium spielen, und es funktioniert genauso.

T: Gut ich spiele keine Bach-Präludien und kann deshalb nicht sagen, ob es genauso funktioniert, aber mit Pop-Stücken funktioniert es genauso, wenn ich alleine bin.

B: Selbstverständlich.

T: Mit der richtigen Musik bist du völlig in einen anderen Zustand umgeschaltet: anderes Land, andere Kultur, andere Zeit. Und wenn das gut ist, dringt es auch ganz schnell in dich ein und löscht in dir etwas aus – das, was du gerade loswerden willst. Das, was du aufbauen willst, schaltet es an. Du kannst dich tatsächlich in einen anderen Zustand bringen – und das ist keine Einbildung. Und dass dieser Satz draufsteht, ist im Gegensatz zu der landläufigen Meinung gesetzt, die Musik als etwas Pazifierendes benutzt. Wenn Konflikte auftauchen, dann tue ich schnell Soße drüber – dann kommen die Fischer-Chöre und all dieser Quark. Das ist nicht „healing force“. Nicht jede Musik ist Musik. Obwohl ich weiß, dass Leute sagen, es ist immer Musik.

Wäre man früher auf Free Jazz gestoßen, ohne dass dieser Stil eine politisch-emanzipatorische Bedeutung gehabt hätte?

T: Politisch glaube ich nicht, emanzipatorisch schon. Du, Walter, warst ja vorher ein Johnny Hallyday Fan.

B: Fan schon, aber nicht seiner Musik. Das war eine persönliche Geschichte. In Offenburg.

S: In the middle of my Zimmer.

T: Aber Ray Charles findest du doch auch gut.

B: Über Ray Charles bin ich überhaupt zur Musik gekommen. Ray Charles und danach der Werdegang von Coltrane. Und vor Coltranes Ende habe ich für mich noch Ornette Coleman entdeckt. Da waren schon ein paar Wege, die in Richtung Free wiesen.

T: Und Elvis. Das war keine politische, aber eine Jugend-Revolte. Und zwar eine ziemlich heftige, so wie darauf reagiert wurde. Danach spielte ich ein paar Jahre Banjo in einer Dixieland-Band. Die ganze New Orleans-Geschichte war für mich die Geschichte der schwarzen Unterdrückung. Das führte zwar nicht zu politischen Forderungen, aber es war das Gefühl, man macht eine emanzipatorische Musik, was Dixieland natürlich längst verloren hat. Es tauchten aber immer weiter Musiken auf, an denen dieses Gefühl noch dranhing – zum Beispiel bei Hendrix.

S: Aber das geht jetzt in Richtung gerechte Sache und das ist für einen Schwarzen, der Musik macht, was anderes als für uns. Die Frage bleibt: Was ist für dich das Emanzipatorische, wenn du diese Musik machst oder hörst?

T: Die Frage, ob Free Jazz auch so eine Bedeutung gehabt hätte, wenn die politisch-emanzipatorische Bedeutung nicht drangehangen hätte. Und da wollte ich sagen: Ja.

S: Ja.

B: Für mich hatte Musik lange vor Free Jazz emanzipatorische Bedeutung. Mein Vater zerbrach die Louis Armstrong-Platten von meinen Brüdern.

T: Louis Armstrong-Fan war ich auch.

S: Also mich emanzipierte das, wenn man so will, nicht von meinem Vater, sondern von manchen Freunden und Bekannten, die da einfach nicht mehr mitgingen und mithörten.

Interview: Oke Göttlich/Joachim Schneider

Freitag, 21 Uhr, Produzentengalerie (Admiralitätstr. 71)