JOSCHKA FISCHER IN PRAG: ANTIFA-WÜRDIGUNG STATT KLAMAUKS
: „Die“ Sudetendeutschen gibt es nicht

Egal ob Miloš Zeman den Palästinenserchef Arafat mit Hitler verglich oder nicht – entscheidend ist, dass sich jeder Tscheche vorstellen kann, dass ihr Ministerpräsident sich zu dieser Äußerung verstiegen hat. Doch das ist nicht das Problem. Es liegt darin, dass kein Prager Politiker den Rücktritt des Regierungschefs fordert.

Die Erklärung, dass Zeman bei den Wahlen im Juni nicht wieder kandidieren wird, reicht hier nicht. Entscheidend ist: Zwölf Jahre nach der Wende wird die Politik des Landes immer noch von den gleichen Personen bestimmt. Da sie nach all den Korruptionsskandalen der Privatisierung ihre verwundbaren Stellen nur zu gut kennen, würde jede Forderung nach Rücktritt eine Lawine weiterer Rücktrittsforderungen auslösen. Daher haben die beiden großen Parteien schon vor Jahren in einem „Tolerierungsabkommen“ die Macht unter sich aufgeteilt. Politik verkam zum Klamauk. Und Zeman ist nur der beste Clown auf der Bühne.

Gegenüber diesem Clown musste nun der grüne Außenminister die Sudetendeutschen verteidigen. Schlechte Voraussetzungen, zumal es Fischer dabei weniger um das lange vernachlässigte deutsch-tschechische Verhältnis und mehr um den Wahlkampf ging. Denn schon seit über einem Jahr fürchtet man in Berlin, dass die Union die ungelösten Probleme der Osterweiterung zum Thema machen wird. Wenn Fischer jedoch Edmund Stoiber den Wahlkampfwind aus den Segeln nehmen und zugleich das deutsch-tschechische Verhältnis voranbringen will, sollte er jetzt ein wirklich lösbares Problem angehen: eine von der Prager Regierung zu leistende Entschädigung der sudetendeutschen Antifaschisten, die das Land nicht verlassen mussten, dort jedoch bis in die Neunzigerjahre diskriminiert wurden.

Dies könnte endlich auch in der Öffentlichkeit zu einer differenzierten Debatte über die Vertreibung führen, ohne die bisherige Schwarzweißmalerei. Die Tschechen würden anerkennen, dass nicht alle Sudetendeutschen Anhänger Hitlers waren. Die Landsmannschaft aber müsste endlich thematisieren, dass die Sudentendeutschen keine geschlossene Gruppe bildeten, sondern dass es unter ihnen Täter und Opfer gab. SABINE HERRE