Minsk fordert die OSZE heraus

Heute entscheidet die Parlamentarische Versammlung der OSZE, ob Weißrussland künftig wieder mit am Tisch sitzt. Staatspräsident Alexander Lukaschenko, der die Repressionsschraube gerade anzieht, interessiert das ohnehin nicht

von BARBARA OERTEL

Die drei weißrussischen Chefredakteure und der Vizepräsident der weißrussischen Journalistenvereinigung nahmen bei ihrem Treffen mit Vertretern des US-Außenministeriums vor knapp zwei Wochen in Washington kein Blatt vor den Mund. Angesichts wachsender Repressionen der Regierung von Staatspräsident Alexander Lukaschenko gegen Oppositionelle dürfe die westliche Staatengemeinschaft in ihrem Druck auf Minsk nicht nachlassen, lautete die Forderung.

Einer der Gäste, Mikalai Markewitsch, Chefredakteur der mittlerweile verbotenen Regionalzeitung Pahonya, wurde noch deutlicher: „Sie müssen begreifen, dass unsere derzeitige Situation auch eine Folge der Inkonsistenz des Westens ist“, sagte Markewitsch. „Die westlichen Staaten haben es versäumt, eine klare und konsistente Politik zu entwickeln, um diese Übel zu verurteilen.“

Der Termin für den Kurztrip der weißrussischen Delegation war bewusst gewählt. Heute entscheidet die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ob die Weißrussen in Strassburg wieder mit am Tisch sitzen dürfen. Derzeit sind deren Stühle in der Versammlung, in der die Parlamente aller 55 Mitgliedsstaaten vertreten sind, unbesetzt.

Bis zum Herbst 2000 wurde Weißrussland von einer Delegation des 1996 aufgelösten Parlaments repräsentiert – ein Protest gegen Lukaschenkos scheindemokratisches Verfassungsreferendum. Dieses Mandat lief mit den Wahlen von 2000 aus. Das derzeit amtierende Parlament ist, dank dreister Manipulationen Lukaschenkos, größtenteils mit Präsidentenanhängern besetzt.

Die anstehende Entscheidung dürfte den Beteiligten daher einiges Kopfzerbrechen bereiten, geht es doch um die Glaubwürdigkeit der OSZE als Institution. Seit Mitte der 90er-Jahre bemüht sich die OSZE um eine Vermittlung zwischen Regierung und Opposition, verbunden mit dem Versuch, einen Demokratisierungsprozess in Gang zu setzen. Ende 1999 wurden vier Bedingungen als Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit formuliert: eine Überarbeitung der Wahlgesetzgebung, die Ausweitung der Vollmachten des Parlaments, der gleichberechtigte Zugang von Vertretern der Opposition zu den staatlichen Medien sowie die Schaffung eines Klimas des Vertrauens. Doch der Vier-Punkte-Katalog blieb Makulatur. Weder die Parlaments- noch die Präsidentschaftswahlen erhielten das Gütesiegel „frei und fair“.

Mehr noch: Immer häufiger wurde der damalige OSZE-Missionschef, Hans-Georg Wieck, der sich vor allem um die Schulung unabhängiger einheimischer Wahlbeobachter bemühte, zur Zielscheibe verbaler Ausfälle des Staatspräsidenten. Wieck würde Kämpfer ausbilden, die tagsüber die Wahl beobachten und nachts das Gewehr unter dem Bett hervorholen, ließ Lukaschenko wissen und drohte dem Deutschen mehrmals mit sofortiger Ausweisung. Dessen freiwilliger Abgang Ende vergangenen Jahres war dann auch gleich ein willkommener Anlass, noch einmal richtig nachzutreten: Im Januar wurde Wieck, der in Minsk an einer Konferenz teilnehmen wollte, die Einreise verweigert.

Derzeit ist die Mission kopflos, der designierte Nachfolger Eberhard Heyken zum Abwarten verdammt. Denn Minsk will den Diplomaten erst hereinlassen, wenn das Mandat der Mission revidiert ist. Zudem konnte die OSZE wegen der Blockadehaltung Weißrusslands für das laufende Jahr noch kein Budget beschließen.

Doch nicht nur in Wien steht einiges auf dem Spiel, sondern auch für die weißrussische Opposition. Sie befürchtet, dass, sollten die Parlamentarier plötzlich hoffähig werden, Lukaschenko nachträglich legitimiert werden und geneigt sein könnte, noch härter durchzugreifen.

Die Ängste sind nicht unbegründet. Seit seinem „eleganten Wahlsieg“ vom vergangenen September langt der Sowjetnostalgiker richtig hin. Unter fadenscheinigen Anschuldigungen wie Amtsmissbrauch, Korruption und Unterschlagung ließ Lukaschenko in den vergangenen Monaten mehrere Leiter großer Betriebe verhaften. Redakteure unabhängiger Zeitungen halten sich häufiger im Büro des Staatsanwalts auf als in ihren Redaktionen. Zu Vorwürfen, Todesschwadronen hätten in staatlichem Auftrag missliebige Oppositionelle beseitigt, gesellen sich seit kurzem Berichte über illegale Waffengeschäfte Weißrusslands mit Libyen und dem Irak.

Doch die OSZE scheint weiter auf einen Dialog zu setzen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der parlamentarischen Arbeitsgruppe der OSZE für Weißrussland, Uta Zapf, nennt das sibyllinisch „Kooperation bei gleichzeitiger Wahrung von Distanz“. Eins ist für Zapf jedoch klar: Die Grundlage des OSZE-Mandats dürfe nicht verändert und Heyken müsse akzeptiert werden, sonst „würden wir uns zum Affen machen“.

Das besorgt derweil Lukaschenko. Kürzlich legte er noch einmal seine Sicht der Dinge dar: Minsk wolle mit der OSZE kooperieren, aber niemandem werde erlaubt, Forderungen der Opposition zur Grundlage dieser Zusammenarbeit zu machen. Sei die OSZE unter diesen Vorzeichen an keinem weiteren Dialog interessiert, „soll sie uns nicht länger auf die Nerven gehen“.