Jung und gut

■ Überraschungen beim NDR-Konzert

Hörte man nur die Musik von Dimitri Schostakowitsch, würde man dann ahnen oder gar wissen können, welchen Repressalien der große russische Komponist ausgesetzt war? Manche seiner Sinfonien haben in dieser Hinsicht eine derartige Deutlichkeit, dass man es vermuten könnte. So ist es bei der fünften Sinfonie, die jetzt im letzten Abonnementskonzert des NDR eine kongeniale Wiedergabe unter der Leitung des jungen Finnen Sakari Oramo erlebte. Denn wenn man gut zuhört, spürt man die Untertöne, die Nebentöne, die Schichten, die unter der glatten Oberfläche liegen.

Nach dem Aufführungsverbot der „Lady Macbeth von Mzensk“ durch Stalin und dem Aufführungsverbot der vierte n Sinfonie schon bei den Proben verschaffte sich Schostakowitsch 1939 mit der populären fünften Sinfonien volle Anerkennung der Machthaber. Aber wie! Oramo entlarvte mit seiner Wiedergabe den verordneten Optimismus mit sarkastischer Ironie, führte den Tanztaumel in eine Expression heller Verzweiflung. Die Doppelbödigkeit der äußeren Anpassung und zugleich innerem Widerstand war in dieser fabelhaften Aufführung hautnah zu spüren.

Sakari Oramo ist ab 2003 Chefdirigent des finnischen Radio-Sinfonie-Orchesters, in dem er vor gut zehn Jahren erster Konzertmeister war. Er beeindruckt durch ein ebenso genaues wie körperintensives Dirigat. Das bekam auch den beiden anderen Werken des Konzertes gut: voller Pracht, dabei gleichzeitig aufregend durchsichtig, Friedrich Smetanas „Die Moldau“, innerhalb derer man die naturalistische Gestaltung der Stromschnellen mit ihren grellen Flötenschreien hervorheben muss.

Ich gebe zu, ein wenig misstrauisch bei zu früh hoch gekommenen jungen IntepretInnen zu sein, allzu oft hinkt die musikalische Reife dem handwerklichen Können – das als eine Art Leistungssport betrieben wird – völlig unverhältnismäßig hinterher. Nicht so bei der in Georgien geborenen Elisabeth Batiashvili, die mit ihren 21 Jahren einen Interpretationstraum von Béla Bártoks zweitem Violinkonzert mit einer schwer beschreibbaren Leichtigkeit und Überlegenheit bot. Kraftvoll sind ihre Konturen und ungemein nuancenreich ihr Ton für die vielen Variationen in Bartóks letzter Komposition vor seiner Emigration 1939. Das hatte den ovationsartigen Beifall voll verdient, der die Begeisterung des Orchesters und des Dirigenten über ihre Solistin miteinbezog.

Ute Schalz-Laurenze