Aufstand gegen die Achse des Guten

Auf dem Alexanderplatz demonstriert die Initiative Friedensmacher jeden Samstag gegen den Anti-Terror-Krieg. Die Veranstalter kämpfen dabei gegen ihre eigene Ohnmacht und hoffen, dass die kleine Aktion irgendwann zum Selbstläufer wird

von ANTJE LANG-LEHNDORF

Samstagmittag, Alexanderplatz. Christiane Thomas atmet tief durch. „Jetzt locker bleiben und nichts durcheinander bringen“, beruhigt sie sich. Sie ist kein Profi im Reden-Halten, das weiß sie. Aber was sein muss, muss sein. Es geht schließlich um Leben und Tod, um Krieg und Frieden. Und um das eigene schlechte Gewissen, das sie lange genug mit sich herumgetragen hat. Entschlossen steigt sie auf die Obstkiste und greift zum Mikrofon.

„Um eine Lautsprecheranlage benutzen zu dürfen, müssen wir mindestens 50 Personen sein“, erklärt sie den zwei Dutzend Zuhörern, die zur Kundgebung der Friedensmacher an die Weltzeituhr gekommen sind. Als Begründerin der Initiative nimmt sie Sache in die Hand. „Ich schlage vor, alle gehen noch mal los und sammeln Leute ein. In zehn Minuten ist jeder mit einer anderen Person wieder hier.“

An einer kleinen, polizeilichen Vorschrift soll ihr Projekt nicht scheitern. Dazu steht zu viel auf dem Spiel. Denn Christiane Thomas und ihre Freunde haben sich hohe Ziele gesteckt. Die Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 nahmen sie sich zum Vorbild. Damals veränderte das Volk auf der Straße den Gang der deutschen Geschichte. Heute wehren sich die Friedensmacher beinahe trotzig gegen die Politikverdrossenheit ihrer Generation. Sie durchbrechen die eigene Ohnmacht und demonstrieren gegen eine deutsche Außenpolitik, die sie nicht mittragen wollen. Gegen einen Anti-Terror-Krieg, der sie wütend macht. Sie hoffen, dass andere, die sich genau wie sie entmündigt fühlen, zu ihnen stoßen. Nicht nur eine Hand voll, sondern so viele, dass sich der Alex wieder füllt, wie im November 1989. Dass ihr Ruf bis ins Kanzleramt zu hören ist: „Wir sind das Volk. Wir wollen diesen Krieg nicht.“

Um zumindest schon mal das Mikrofon benutzen zu dürfen, schreitet Thomas in langem, beigen Mantel über den Platz. Schnurstracks steuert die 39-Jährige auf die Passanten zu und erklärt ihr Anliegen. Doch auch das ist das Volk: Die junge Mutter, die ihr Kind nicht dem Lärm aussetzen will. Der Rentner, der die Aktion eigentlich unterstützt, aber unter Schmerzen leidet. Für das Schicksal der Länder, die Bush zur Achse des Bösen erklärt hat, stellt man sich ungern in den Regen. Trotzdem versammeln sich nach und nach rund 70 Menschen um die Weltzeituhr. Ein Bayer in Bomberjacke, der seinen Hund spazieren trägt, bleibt stehen. „Wenn man schon selbst zuhören“, findet er. Ein grauhaariger Herr geht auf Christiane Thomas zu: „Ich bin im Moment heimatlos, was meine Aktivitäten für den Frieden angehen. Wissen Sie, in der DDR damals war das ja anders.“ Sie lädt ihn zu einem Vorbereitungstreffen ein. Dann greift sie wieder zum Mikrofon.

„Wenn Gerhard Schröder von Schäden spricht, die niemand gewollt hat, dann meint er Menschen“, kritisiert die ausgebildete Hebamme aus dem Prenzlauer Berg kühl und voller Unverständnis den Kanzler. Menschenleben sind ihr heilig. Deshalb konnte sie auch nicht glauben, dass Afghanistan bombardiert wurde und nach der Friedensdemo der PDS im November niemand mehr etwas unternahm. Viele schimpften auf den Krieg, aber nichts passierte. Damals kam ihr die Idee der Kundgebungen. Wenigstens einmal in der Woche wollte sie ihren Sorgen öffentlich Ausdruck verleihen. Sie sprach mit ihren Freunden. Zwei Tage vor Weihnachten, als die ersten Bundeswehrsoldaten Richtung Afghanistan aufbrachen, standen sie erstmals auf dem Alex. Nur zu viert träumten sie schon vom vollen Platz.

„Bleib raus aus Afghanistan, Mann, das geht dich gar nichts an“, rappt Musiker Alfred Mehnert zu Banjo und Harfe über den Platz. Die Kundgebung soll eine Plattform sein für alle, die gegen den Krieg sind, egal aus welchem Grund. Um viele Menschen zu erreichen, beschränken sich die Friedensmacher auf diesen kleinstmöglichen Nenner. Mit Parteien wollen sie nichts zu tun haben. Jeder soll die Zweifel am Anti-Terror-Kurs auf seine Weise ausdrücken können. So hoffen sie, dass die Aktion zum Selbstläufer wird.

Beim anschließenden Speakers Corner greift sich Markus Strobl das Mikrofon. „Die schaffen es noch, den Clash of Civilisations herbeizubomben.“ Strobl war Pankower Direktkandidat von Bündnis 90/Die Grünen bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 1999. Nach dem Rostocker Parteitag, auf dem die Grünen den deutschen Kriegseinsatz absegneten, trat er aus der Partei aus. Seitdem hat er sich aus der Politik zurückgezogen. Nur samstags kommt er manchmal auf den Alex und hilft, ein paar Flugblätter zu verteilen.

Pünktlich um 14 Uhr beendet Christiane Thomas die Veranstaltung. Die Leute sollen schließlich wiederkommen und sich deshalb nicht die Beine in den Bauch stehen. „Uff“, sagt sie, lächelt erleichtert und steckt sich eine Zigarette an. Für diesen Samstag haben sie es wieder geschafft. Fortsetzung folgt, „bis der Anti-Terror-Krieg vorbei ist.“ Sie weiß, das kann noch dauern.

Kundgebung jeden Samstag um 13 Uhr an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Weitere Informationen unter www.friedensmacher.de.