Wunderkammer der Fragezeichen

Im „Museum der unerhörten Dinge“ präsentiert der Künstler Roland Albrecht Fundstücke mit absonderlichen Geschichten. Wie viel Dichtung oder Wahrheit in der „frühen wassersauren Schnecke“ oder im „Basiliskmus“steckt, lässt Albrecht offen

„Nichts ist so wunderbar, als dass es nicht wahr sein könnte“

von HENNING KRAUDZUN

Wissenschaft kann manchmal eine Kunst für sich sein. Je verwirrender es wird, desto mehr Kreativität ist gefragt. Roland Albrecht hat so seine Version über das Aussterben der Dinosaurier für das „Museum der Unerhörten Dinge“ aufgeschrieben und fast ist man geneigt, ihm das zu glauben.

Für ihn steht fest: Nachdem so genannte Innerschnecken von der Erdoberfläche verschwanden, war auch die Ära der Dinosaurier vorbei. Denn als nützlicher Parasit der Gattung „Frühe wassersaure Schnecke“ lebten die Innerschnecken in den Mägen ihrer tonnenschweren Wirte. Dort vertilgten sie Algen, so dass die Verdauung der Saurier normal funktionierte. Mit dem Aussterben der Innerschnecken fühlten sie sich jedoch vom Algenwucher gesättigt, vergaßen zu essen und verhungerten letztendlich.

Was sich wie eine abenteuerliche Forschungsstudie anhört, entstammt der Fantasie des Künstlers und Museumsdirektors Albrecht, der um ein fossiles Fundstück eine fast glaubhafte Geschichte gesponnen hat. In seinem Museum werden ungewöhnliche Gegenstände mit einer lebendigen Beschreibung interessant gemacht. Umgekehrt findet Albrecht zu einer skurrilen Begebenheit die passenden Objekte.

„Die Dinge finden mich, und dann erzählen sie über sich“, sagt Albrecht und grinst. Manchmal tappt er dann ins wissenschaftliche Fettnäpfchen. Eine Biologin habe über die Innerschnecken-Geschichte gelacht und erklärt, dass Algen viel Licht zum Leben bräuchten. „Aber sie wusste, wie man das Museum zu sehen hat“, sagt Albrecht.

Weniger Vorgebildete sind ratlos. Wenn sich Besuchergruppen in dem 20-Quadratmeter-Museum drängen, wird Albrecht zur lebenden Repetiermaschine. Im Minutentakt muss er dann bohrende Fragen über Echtheit oder Fälschung der einzelnen Objekte beantworten. Doch wie viel Dichtung oder Wahrheit in den sechzehn ausgestellten „Unerhörten Dingen“ steckt, darüber lässt er die Besucher im Unklaren.

Ob nun die japanischen Zen- Mönche im Kloster Myken Vhu tatsächlich zu den Bonsai-Bäumen die passenden, handgroßen Bonsai-Hirsche züchteten oder ob man in der Niederlausitz auf versteinertes Eis stößt, soll sich jeder selbst beantworten.

„Nur manchmal gibt es hartnäckige Besucher, die nicht eher gehen, bis sie die Wahrheit erfahren“, erzählt Albrecht. Sein Anliegen hätten sie dann nicht verstanden. Dabei will er vor allem eine dingliche und literarische Wunderkammer des Lebens aufzeigen – und keinen mit irgendeiner Glaubwürdigkeit quälen. „Man muss einfach mal für einen Moment das Besondere einatmen und die Hektik des Alltags vergessen“, betont Albrecht. Sich bewusst etwas vorlügen zu lassen, das können die wenigsten Besucher. Denn die scheinbar wissenschaftlich fundierten Texte zu den unscheinbaren Dingen klingen im ersten Augenblick überzeugend, bis erste Zweifel die Neugier wachrütteln.

Getreu dem Motto „Nichts ist so wunderbar, als dass es nicht wahr sein könnte“ sammelt Albrecht seit seiner Kindheit jene Dinge, in denen er irgendetwas Besonderes vermutet. „Sie müssen mich immer sofort faszinieren“, betont er. Dass er ihnen ungewöhnliche Bezeichnungen gab, wochenlang recherchierte und daraus eine fast glaubhafte Geschichte formte, ist jedoch erst eine späte Beigabe zu den Fundstücken.

Nachdem er eigene Gedichte zu schreiben begann und fotografierend durch die Welt reiste, hätten die Dinge etwas ganz anderes herausgefordert, als nur in den Kisten zu verstauben, sagt Albrecht. Das Ergründen eigener Geheimnisse, gepaart mit viel Sprachwitz und Ironie, führte über die Jahre zum heutigen Kuriositätenkabinett.

Seit anderthalb Jahren besitzt sein „Museum der Unerhörten Dinge“ in Schöneberg eine feste Adresse. Dennoch hörten viele Berliner bereits zuvor von den Aktionen des Künstlers. Für seine „Wolfsschaf-Forschung“, über die eine ganze Postkartenserie drucken ließ, befragte Albrecht in einem Spätkauf am Rosa-Luxemburg-Platz wochenlang die Kunden zur Gattung der „Wolfsschafe“.

Das mit dem Computer gebastelte Fabeltier – ein Schaf mit einem Wolfskopf und umgekehrt – forderte neben biologischem Grundwissen auch den Humor der Befragten heraus. Dennoch glaubten einige wahrhaftig an die Existenz des Absurden: „Über die Frage zum Sexualverhalten des Wolfsschafes stritt ein Paar minutenlang“, erinnert sich Albrecht.

Gestritten haben auch tagelang Studenten in ihrer WG, ob man den Nachforschungen Roland Albrechts glauben darf. Jedoch konnten sie sich auch nicht nach eigenen Recherchen einigen und riefen entnervt im Museum an.

„Vor allem wenn ich tief in der Geschichte wühle, haben die Leute Rätsel in den Augen“, sagt Albrecht. Kaum einer könne sich so erinnern, ob der unter einer Käseglocke ausgestellte Brief Sigmund Freuds über den Gemütszustand des „Basiliskmus“ nicht doch von dem Wiener Psychoanalytiker geschrieben wurde. Oder ob Thomas Mann einen auf Usedom gefundenen Stein tatsächlich als Talisman mit sich herumtrug, den jetzt Albrecht verwahrt.

Mittlerweile schenken ihm bereits Freunde ihre vermeintlich seltenen Fundstücke und sind stolz, wenn Albrecht ihnen eine Bestimmung andichtet. Über vierzig Objekte lagern in einem kleinen Nebenraum und warten darauf, endlich einmal bestaunt zu werden. „Dabei ich muss aufpassen, dass mich die Leute nicht mit ihren Dingen zumüllen“, sagt Albrecht und lacht. Denn die Berichte über einzelne Exponate animieren viele zur Suche nach dem Besonderen.

Durch die Resonanz in seiner kleinen Wunderkammer hat Albrecht sein Ausstellungsprojekt immer wieder verlängert, obwohl er es nur ein paar Monate zeigen wollte. Eine Wohnungsbaugesellschaft sponsert die Miete, der Senat ein Stipendium für den Aufbau des Museums. Die knappen Finanzen Berlins vor Augen, klingt das schon fast wie eine unglaubwürdige Geschichte. So als würden die „Unerhörten Dinge“ in den Ohren der Politiker summen.

,,Museum der Unerhörten Dinge“, Crellestraße 5–6, Berlin-Schöneberg. Geöffnet Mittwoch bis Freitag 15–19 Uhr oder nach Absprache. Infos unter Tel: 7 81 49 32 oder www.museumderunerhoertendinge.de