Doch noch zu Gold gezickt

Nachdem sie zwei Mal leer ausging, sichert sich die blonde Eisschnellläuferin Anni Friesinger aus Inzell den Olympiasieg über die 1.500-Meter-Distanz. Freude in der Mannschaft löst das nicht aus

aus Salt Lake City MARTIN HÄGELE

Den Spruch zum Tage hatte Markus Eicher exklusiv, auch wenn er ob der Wirkung seiner Worte das Zitat am liebsten wieder geschluckt hätte: „Wenn du den Eberharter und den Maier in ein Zimmer sperrst, dann gibt’s am Ende des Tages einen Toten.“ Der gnadenlos geführte Machtkampf der österreichischen Ski-Matadore sollte als Beispiel dafür herhalten, dass es unter Männern halt doch noch eine Spur brutaler zugehen kann als in dem deutschen Damenappartement im Olympischen Dorf von Salt Lake City, wo man umgangsmäßig auf dem Niveau der Boxenluder Elvers und Naddel angekommen sei. Dieses Stimmungsbild, vom Nachrichtenmagazin Spiegel ermittelt, kann so falsch gar nicht gewesen sein, obwohl Anni Friesinger und Claudia Pechstein, die zwei Frontfiguren im „Busen-Krieg auf dem Eis“ (Bild), den Ernst ihrer Auseinandersetzung stets dementiert und auf die rein sportliche Rivalität herunterzureden versucht hatten.

Doch am Tag, an dem die 25-jährige Friesinger ihr erstes Gold in Weltrekordzeit eingefahren und im Duell mit der 3.000-Meter-Olympiasiegerin Pechstein ausgeglichen hatte, konnte der Heimtrainer der Inzellerin nicht länger schweigen. Schließlich hatten Millionen vorm Fernsehschirm die Emotionen und Tränen seines Schützlings Anni erlebt. „Wie wenn ein riesiger Stein in mir explodiert“, hatte die ihren Sieg empfunden, der Druck, unter dem die Blondine stand, war ja auch selbst für Außenstehende förmlich spürbar, genauso wie die kühle Atmosphäre zwischen der Siegerin und ihren Landsfrauen Sabine Völker (Silber) und Pechstein, die auf Rang sechs gelandet war.

Wenn man die Äußerungen von Friesingers Trainer Eicher richtig interpretiert, ist dessen Schützling sogar gemobbt worden in der olympischen Hausgemeinschaft. Sobald die Seriensiegerin dieses Winters dort auftauchte, verstummten häufig die Gespräche. Anni Friesinger fühlte die Barriere zu den anderen, wobei es längst nicht mehr nur um die Eifersucht wegen Sponsoren oder Popularität ging. Diese Rivalität ist auch eine deutsch-deutsche Geschichte: hier die auf ihre DDR-Vergangenheit eingeschworene und auch deshalb nur schwer vermarktbare Pechstein aus der Plattenbausiedlung Hohenschönhausen. Dazu Sabine Völker aus Erfurt, ein schüchternes Mäuschen, deren drei Podiumsplätze in Salt Lake City vorwiegend von Statistikern registriert werden.

Aus solchem Neid wuchs ein feindseliges Klima, vor dem Anni Friesinger schließlich fliehen musste. „Geh so viel raus wie möglich, such deine Ruhe bei Eisläufern aus Holland oder anderen Freunden“, hatte ihr Eicher in den vergangenen Tagen empfohlen. Fast zwei Wochen zu spät kam dem Coach jene Erkenntnis, dass man solche Rivalinnen nicht unbedingt in eine Wohngemeinschaft sperren sollte: „Die Monique Garbrecht hat es richtig gemacht, sie hat sich hier ein Haus gemietet. Wir waren dafür zu doof.“ Es spricht allerdings auch nicht für die Professionalität unter den Funktionären der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, die den schwelenden Konflikt einfach aussitzen wollten; auch aus Angst, über den Leistungszentren Berlin, Erfurt und Inzell eine politische Diskussion aufleben zu lassen.

Man sagt Anni Friesinger viel Temperament nach, und manchmal trägt sie ihr Herz auch auf der Zunge. Dieser Tage in Utah aber hat sie ein feines Gespür entwickelt, egal, wie sie die Frager lockten, ob im vertraulichen Du, auf Englisch oder Holländisch, das sie wie ihre Heimatsprache beherrscht. Ihre Nacktfotos in deutschen Illustrierten haben sich bis zu den Reportern der Desert News herumgesprochen, auch dass ihr Ballkleid bei der Proklamation der deutschen Sportler des Jahres obenrum zwei Nummern zu klein ausgefallen war. Nur mit der Übersetzung von „Zicken-Zoff“ haben sie am Rande des Großen Salzsees noch Probleme. Auch Friesinger drehte diese Debatte nicht weiter, will nichts mit diesem Boulevardstoff zu tun haben: „Hört mir auf mit diesem Scheiß!“

Bloß nicht nachtreten. Nur genießen will sie, diesen Moment, diesen Abend, diesen Tag. Noch ist sie so empfindlich, dass sie sofort losheulen wird, wenn sie nur jemand in den Arm nimmt. Doch diese Sensibilität, da sind sich Friesingers Freunde sicher, wird sie bis morgen ablegen. Denn dann fällt die Entscheidung, wer denn nun die wahre Nummer eins unter den deutschen Eisschnelllauf-Olympiasiegerinnen ist: über 5.000 Meter, wo Claudia Pechstein ihren olympischen Titel verteidigen und Anni Friesinger voll attackieren will. „Aber“, darauf legt sie Wert, „nur auf rein sportlichem Gebiet.“