Jospin bewirbt sich per Fax

Der französische Premierminister will der nächste Präsident werden. Im Gegensatz zu seinem wichtigsten Konkurrenten, dem derzeitigen Staatschef Chirac, kann er auf Erfolge während seiner Amtszeit zurückblicken: Er setzte mehrere Reformen durch

aus Paris DOROTHEA HAHN

Ein Kandidat jagt den nächsten: Mehrere Tage früher als geplant und nur eineinhalb Wochen nach seinem Hauptkonkurrenten hat Frankreichs Premierminister Lionel Jospin (64) am Mittwochabend per Fax mitgeteilt, dass auch er Staatspräsident werden will. In seinem Brief an die „Französinnen und Franzosen“ erklärt der Sozialdemokrat, er wolle ein „sichereres, gerechteres, moderneres und stärkeres“ Land.

Acht Wochen vor den Präsidentschaftswahlen – erster Durchgang am 21. April, zweiter am 5. Mai – ist damit die Zahl der BewerberInnen auf das höchste Amt im Staate Frankreich auf 23 gestiegen. Nach monatelangem Gemauschel hinter den Kulissen beginnt nun die heiße Wahlkampfphase. Das Parlament, das im Juni ebenfalls neu gewählt wird, beendete seine letzte Sitzung am Mittwoch. Die Abgeordneten werden sich fortan ganz dem Wahlkampf widmen.

Überrascht hat an Jospins Erklärung bloß der Zeitpunkt. Ursprünglich war sie für Ende Februar angekündigt. Der Premierminister, der in den vergangenen fünf Jahren die rot-rosa-grüne Regierung führte und der bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 1995 nur knapp gegen den jetzigen Staatspräsidenten Jacques Chirac verlor, hatte bereits vor Monaten mitgeteilt, seine Kandidatur sei „wahrscheinlich“. Später hatte er hinzugefügt, er stehe „zur Verfügung“. Gleichzeitig formierte sich sein Kampagnenteam mit Landwirtschaftsminister Jean Glavany an der Spitze. An Jospins Programm arbeiten zwei frühere Mitglieder seiner Regierung: Exarbeitsministerin Martine Aubry und Exwirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn.

Für seine Bekanntmachung wählte Jospin, der in Frankreich im Ruf steht, ein strenger Protestant zu sein, einen nüchternen Dekor. Damit setzte er sich von seinen beiden Hauptkonkurrenten ab, die ihre Kandidaturen sorgfältig inszeniert hatten. Chirac, der in den Meinungsumfragen knapp vor Jospin steht, hatte zu diesem Zweck einen Auftritt vor politischen Freunden in der rechts regierten südfranzösischen Stadt Avignon gewählt, wo er auf eine „Frage“ antwortete: „Ja, ich bin Kandidat.“ Der linkssozialistische Ex-Innenminister Jean-Pierre Chevènement, den die Meinungsforschungsinstitute gegenwärtig auf dem dritten Platz sehen, hatte sich am Platz einer erfolgreichen Schlacht Frankreichs gegen Preußen bereits im vergangenen September zum Kandidaten proklamiert.

Nach fünf Jahren an der Regierungsspitze stützt sich der Kandidat Jospin vor allem auf die Bilanz seiner Arbeit als Premierminister. In seiner Kandidatur bekennt er sich zu den „Fortschritten und zu den Krisen und Rückschlägen“ dieser Regierung. Auch damit setzt er sich von Chirac ab, denn dieser hat es nicht geschafft, in seinen sieben Jahren als Präsident seine politischen Projekte durchzusetzen.

Die von ihm gewollte Erhöhung des Rentenalters im öffentlichen Dienst sorgte 1995 mit einem dreiwöchigen Streik der EisenbahnerInnen sogar für eine weitgehende Blockade des Landes und verhalf zwei Jahre später, bei der ebenfalls von Chirac gewollten vorzeitigen Auflösung des Parlamentes, der rot-rosa-grünen Regierung zum Wahlsieg. Jospin hingegen gelang nicht nur das von vielen bezweifelte Kunststück, die divergierenden Kräfte seiner Koalition, in der beispielsweise Grüne und KommunistInnen gegeneinander um den „zweiten Platz“ kämpfen, zusammenzuhalten. Sondern er konnte auch Reformen durchsetzen. Darunter die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung auf die 35-Stunden-Woche, die in ihrer konkreten Ausführung freilich viele Erwartungen der Linken enttäuscht hat.