„Bei Raubkunst muss Moral vor Recht ergehen“

■ Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede fordert mehr Engagement für Provenienzforschung

Sie ist kriminalistisch, kompliziert – und eine Lebensaufgabe: die Provenienzforschung, also die Untersuchung der Ankaufspolitik der Museen zwischen 1933 und 1945, der sich eine gestern beendete Arbeitstagung in der Hamburger Kunsthalle widmete.

Initiatorin des mit internationalen Referenten – auch aus den USA und Österreich – besetzten Erfahrungsaustauschs über Rechercheprobleme, Finanzierungswege und Restitutionspraxis war Ute Haug, seit Oktober 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der hiesigen Kunsthalle für die Erforschung der Provenienzen der Gemälde verantwortlich. Der Grund für das Projekt: „Irgendwann wurde mir klar, dass Rückgabeansprüche zwar verjährt sind, dass unsere Verantwortung aber weiter reicht: Hier muss Moral vor Recht ergehen“, bekennt Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede. „Und abgesehen davon, dass man nicht immer bloß hoffen kann, dass keine Rückgabeforderungen eingehen, schaden Leichen im Keller der Reputation jedes Hauses.“ Eine befristete Stelle wurde also zunächst in Hamburg eingerichtet, für die man die Mittel – inklusive Kulturbehörden-Anteil – mühsam zusammentrug. „Aber inzwischen ist mir klar, dass diese Aufgabe nicht in drei bis vier Jahren zu bewältigen ist.“ Zu kompliziert seien die Einzelfälle, „die das Schicksal jener Zeit spiegeln“.

Auf Werke die vor 1933 entstanden und zwischen 1933 und heute angekauft wurden, bezieht sich die Forschung, die bislang nur in Hamburg, München, Dresden, Stuttgart und Köln betrieben wird. Eine erschreckend geringe Zahl, wenn man bedenkt, dass bundesweit die Ankaufsgeschichte tausender Werke der Aufklärung harrt. „Es hat lange gedauert, bis sich unter Museumsleuten das Bewusstsein einstellte, dass man die Eigentümer aktiv suchen muss“, sagt Frank Däberitz von der Kulturstiftung der Länder. Und auch jetzt fehlt oft das Geld für systematische Provenienzforschung. Grund für den Hamburger Direktor, finanzielles Engagement der öffentlichen Hand anzumahnen.

Die Probleme der WissenschaftlerInnen liegen allerdings oft eher im Detail: „Die Geschichte des Kunsthandels und der Ankaufsgeschichte deutscher Museen ist bis heute nirgends systematisch erfasst.“ Zudem dauert es oft Monate, bis Anfragen an Archive oder Galerien beantwortet sind. Außerdem, das hätten die Erfahrungen gezeigt, sei jeder Einzelfall anders. Man könne also kein universell funktionierendes Entscheidungs- oder Recherchemuster entwickeln. Vielmehr müsse man jeweils minutiös untersuchen, ob der Besitzer die Werke auf politischen Druck hin verkauft habe und ob er etwa zuvor zwangsenteignet worden sei. Auch müsse ergründet werden, wie Ankäufer und Auktionator zum Nazi-Regime standen.

Abgesehen davon sei – und keiner der bislang in Hamburg untersuchten Fälle war problematisch – überhaupt noch nicht vorherzusagen, wie in puncto Rückgabe zu verfahren sei, so Schneede. Denn offizielle Eigentümerin der in der Kunsthalle verwalteten Werke ist die Hansestadt Hamburg. Sollten also die jeweils regierenden Politiker entscheiden, welches Werk zurückzugeben sei? „Ich hielte es eher für sinnvoll, eine nationale Beraterkommission zu gründen, die darüber entscheidet – eine Schiedsstelle quasi, die der Länderhoheit nicht zuwiderliefe. Denn da es ja immer wieder um die gleichen Sammler geht, ist es wenig sinnvoll, in Stuttgart anders zu entscheiden als in Hamburg“, betont Schneede.

Doch das sind Zukunftsvisionen, erwachsen aus Anregungen, die die Konferenz erbrachte. Vordringlich sei nicht nur die finanzielle Verankerung der Provenienzforschung, sondern auch der Aufbau einer Datenbank, in der die Wissenschaftler ihre Ergebnisse zusammentragen und miteinander kommunizieren können. Petra Schellen