Spritzentausch: Menschen statt Maschinen

■ Justizbehörde unterdrückte kritisches Gutachten zum Spritzentausch in Gefängnissen

Justizsenator Roger Kusch (CDU) hatte einen Trumpf im Ärmel. In der Bürgerschaft präsentierte er am Mittwoch ein nahezu unbekanntes Gutachten zu den Folgen des Spritzentauschs in Hamburger Haftanstalten, das angeblich von seiner SPD-Vorgängerin Lore Maria Peschel-Gutzeit geheim gehalten worden war. Daraus gehe hervor, legte er nahe, dass sich durch den Spritzentausch Drogenkonsum und Infektionen in den Knästen vermehrt hätten. Deshalb, so Kusch, sei der von ihm verfügte Abbau der Spritzen-Automaten notwendig gewesen.

Als Kronzeuge für diese Behauptung musste ausgerechnet sein niedersächsischer Amtskollege Christian Pfeiffer (SPD) herhalten. Den hatte Kusch noch Anfang der Woche öffentlich gemaßregelt, nachdem Pfeiffer die Interpretation der Hamburger Kriminalstatistik durch Ronald Schill massiv in Zweifel gezogen hatte.

Als damaliger Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) hatte Pfeiffer an der Studie intensiv mitgearbeitet. Der heutige niedersächsische Justizminister bestätigt den „kritischen Tenor“ der Expertise: „Wir haben empfohlen, den Spritzentausch so nicht fortzusetzen.“ Tatsächlich ergab die an der JVA Vierlande durchgeführte Untersuchung, dass Infektionsrisiken und Drogenkonsum durch die Spritzen-Automaten „nicht wesentlich reduziert“ werden konnten.

Auch die Behauptung Kuschs, Süchtige hätten für andere Strafgefangene, die anonym bleiben wollten, sterile Spritzen abgeholt und dafür als Lohn benutzte Spritzen mit Drogenresten erhalten, sei zumindest „im Einzelfall richtig“. Ein weiteres Ergebnis sei gewesen, so Pfeiffer, dass viele Süchtige durch die verfügbaren Spritzen Drogen nicht mehr über Mund und Nase aufgenommen, sondern sie sich direkt in die Venen gedrückt hätten.

Tatsächlich ließ die Hamburger Justizbehörde das Gutachten, das das Ende des Spritzentausch-Modellprojekts empfiehlt, in der Versenkung verschwinden. „Das Ergebnis war für Frau Peschel-Gutzeit höchst unangenehm“, erinnert sich Pfeiffer. Geheim aber blieb die Expertise nicht: Sie erschien – weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit – 1998 in der Schriftenreihe des KFN.

Pfeiffer verwahrt sich dagegen, vom Amtskollegen Kusch als „Kronzeuge für den ersatzlosen Abbau der Spritzenautomaten benutzt“ zu werden: „Wir haben empfohlen, Maschinen durch Menschen zu ersetzen und Spritzen durch Ärzte ausgeben zu lassen.“ Kusch falle nun „ins andere Extrem und drücke die Spritzenbeschaffung in die Illegalität“. Pfeiffer: „Diese Maßnahme kann niemand aus dem Gutachten ableiten.“ Marco Carini