Mutter eines verlorenen Sohnes

■ Der als mutmaßlicher Bremer Taliban inhaftierte Türke sitzt noch in Afghanistan / Seine Mutter tut alles, damit der Fall nicht vergessen wird

Nein, sie wollte ihm nicht die Feier im Rathaus vermiesen. Aber gerne hätte Sabiye K. dem neuen pakis-tanischen Botschafter in Deutschland gestern bei seinem Bremen-Besuch einen Brief überreicht. Er möge sich bitte dafür einsetzen, dass das Schicksal ihres Sohnes Murat geklärt werde. Doch sie wurde nicht vorgelassen.

Sabiye K.s 19-jähriger Sohn, der in der bundesweiten Presse als mutmaßlicher „Bremer Taliban-Türke“ Schlagzeilen machte, wird von den US-Amerikanern zwar im afghanischen Kandahar festgehalten. Von dort aus droht ihm der Abtransport ins Gefangenenlager im kubanischen Guantánamo. Doch ein unbekannter Anrufer hatte der Mutter vor Wochen mitgeteilt, ihr ältester Sohn sei in Pakistan verhaftet worden. Seither ist die Frau sicher: „Weil er kein Geld hatte, um sich freizukaufen, haben sie ihn nach Afghanistan gebracht.“ Ihr Sohn habe Koranschulen besuchen wollen – nicht schießen. „Der versteht doch kein Arabisch. Was hätten die denn mit ihm machen wollen?“ Immer wieder dreht und wendet sie die paar Fakten, die sie zu kennen glaubt, um sich einen Reim auf die Entwicklung der vergangenen Monate zu machen.

Das letzte Lebenszeichen von Murat liegt Tage zurück. In einem Brief, den das Internationale Rote Kreuz vermittelte, schrieb der Sohn, er habe „nichts angestellt.“ Die Eltern mögen sich keine Sorgen machen. „Da hat mein Mann zum ers-ten Mal seit Oktober wieder gelacht.“

Im Oktober war Murat ausgereist, einfach vom Ausbildungsplatz in Oyten verschwunden. Anfang Februar war dann die Nachricht von seiner Internierung gekommen. Kripobeamte hatten der Mutter ein paar Fotos von Männern in orangefarbener Gefangenenkluft vorgelegt, auf denen sie den Sohn identifizierte. Seither blickt Sabiye K. ratlos auf das Netz internationaler Verstrickungen, in das ihr Sohn die Familie verheddert hat. Sie fordert, ihr Sohn möge nach Deutschland ausgeliefert werden. Doch der Bundesaußenminister hat ihr nur geschrieben, er werde für die Eltern des türkischen Staatsangehörigen gerne Fragen an die richtigen Stellen weiterleiten. Sprich: Deutschland ist nicht zuständig. Von der Türkei weiß man nur, dass der Außenminister die USA um Aufklärung der Umstände der Gefangennahme gebeten hat. Unbestätigten Berichten zufolge werden noch mindestens zwei weitere Türken aus Deutschland von den US-Amerikanern festgehalten.

Derweil gehen Kripobeamte bei der Familie ein und aus, ohne die Schuhe an der Tür abzustreifen. „Die Polizisten sagen, sie hoffen, dass Murat bald nach Deutschland zurückkommen kann“, verrät die Mutter. Sie möchte die Freundlichkeit der Beamten freilich gerne als Zusage verstehen, dass der in Bremen geborene Sohn nicht nur zum Verhör in Deutschland gebraucht wird. Doch tatsächlich laufen gegen ihn Ermittlungen wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung – wie auch gegen mehrere andere Personen in Bremen (die taz berichtete).

Auf einige der Bremer Freunde ihres Sohnes ist die Mutter derweil stinkwütend. Sie glaubt, diese hätten ihren Sohn, „der immer gutherzig war und helfen wollte“, irgendwie aus der eher arabisch orientierten Abu Bakr Moschee am Breitenweg weggelockt. Ihm ein Flugticket gegeben, damit er nach Pakistan fliegt. Um Koranschulen zu besuchen, wie sie hofft. Oder um in Af-ghanistan auf der Seite der Taliban für einen islamischen Gottesstaat zu kämpfen? „Mein Junge hat sich mit dem Koran beschäftigt. Da steht drin, dass er nicht töten darf“, sagt die Mutter. Sie ist bleich. Sie weint viel. Und sie hat keinen Anwalt. „Die Polizei hat zu mir gesagt, ich brauche noch keinen“, klingt die 43-Jährige etwas treuherzig. ede