US-PRÄSIDENT IN CHINA: VIEL ERREICHT HAT GEORGE W. BUSH NICHT
: Misstrauen und Missverständnisse

George W. Bush wollte bei seinem Besuch in China vor allem eines erreichen: die Furcht vor einer säbelrasselnden Supermacht besänftigen, die ihre Interessen durchsetzt, ohne nach links und rechts zu schauen. Außerdem hoffte der US-Präsident auf konkrete Zusicherungen Pekings, künftig keine Raketenteile und andere Waffen mehr an so genannte Schurkenstaaten zu liefern. An diesen Zielen gemessen war die Reise nicht sehr erfolgreich.

Obwohl Bush erklärte, nicht jeder Konflikt müsse militärisch gelöst werden, und betonte, dass er an Gesprächen mit Nordkorea interessiert sei – das Misstrauen gegenüber den Absichten der Amerikaner in der Region bleibt groß. Auch denken die Chinesen bislang nicht daran, ihren staatlichen Rüstungsunternehmen den lukrativen Export gefährlicher militärischer High-Tech-Güter zu verbieten: Noch im Januar soll China laut CIA-Berichten Antiflugzeugraketen an den Iran geliefert haben. Bushs Versuch, den Chinesen in seiner Rede an der Qinghua-Universität die Vorteile der Demokratie nahe zu bringen, war ebenfalls nicht so wirkungsvoll, wie er es sich wünschte. Zwar wurde die Ansprache im chinesischen Fernsehen live und ungekürzt übertragen – aber der Sender erreicht nur eine relativ kleine Zahl von Leuten. Und zudem hören viele Chinesen etwas ganz anderes aus den Worten des Präsidenten, als dieser beabsichtigte.

Menschen in kommunistischen Staaten sind daran gewöhnt, bei Politikerreden zwischen den Zeilen zu lesen. Bushs chinesische Zuhörer konnten sich daher nur schwer vorstellen, dass Bush nichts anderes meinte, als er sagte. Jetzt grübeln viele Chinesen, welches außenpolitisches Interesse wohl dahinter steckt, wenn ein US-Präsident sie überzeugen will, an Gott zu glauben. Wenn Bush von seinem Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten spricht, verdächtigt ihn mancher, China herabsetzen zu wollen, denn nichts in scheint im Reich der Mitte derzeit so leicht zu entfachen zu sein wie der nationale Minderwertigkeitskomplex. Dass viele Chinesen gegen die „arroganten Amerikaner“ wettern und sich gleichzeitig um Visum und Studienplatz in den USA bemühen, widerspricht dieser Haltung nicht.

Auf die ambivalenten Gefühle der Chinesen gegenüber US-Politikern setzt auch die Regierung in Peking, die solche heiklen Veranstaltungen zulässt und sogar befürwortet. Sie weiß, dass nur wenige die Botschaft Bushs verstehen – und kann gerade deshalb nach außen gefahrlos Liberalität demonstrieren. Einen Aspekt übersehen die Funktionäre allerdings: Bush kann womöglich nicht viele Menschen von seinen Ansichten überzeugen. Aber jenen, die ohnehin als Dissidenten oder Gläubige unter Druck sind, macht er Mut. JUTTA LIETSCH