Und noch mal in Zeitlupe

Per Video erinnert Hertha-Trainer Falko Götz den Brasilianer Alex Alves an seine Dribbelkünste. Dann legt der beim 5:1 gegen Kaiserlautern vier Tore auf. Doch Manager Hoeneß bleibt skeptisch

von MARKUS VÖLKER

Die Szene hätte aus dem Drehbuch einer in Brasilien so beliebten Telenovela stammen können. Die südamerikanische Version der Soap-Opera setzt auf Dramen, Kitsch und Emotion. Auch die Geschichte des Alexandre Alves do Nascimento kommt ohne diese seifigen Ingredienzien nicht aus. So posierte er am Samstag nach Spielende mit seiner Frau Nadja Fransa und Töchterchen Alessandra im Olympiastadion. Fast alle Blicke der 33.000 Zuschauer schossen zu den dreien herab. Alves kullerten Tränen übers Gesicht. Freudentränen natürlich.

Das Bild der glücklichen Familie verhieß ein Happy End. Ein vorläufiges. Denn noch zehnmal muss Alves in dieser Saison seine Schuhe schnüren und „bestätigen, dass er das wiederholen kann. Dann ist er auch ein glücklicher Fußballer“, sagte Manager Dieter Hoeneß. Familienglück. Fußballglück. Was führte zur glücklichen Fügung im Leben des Alex Alves?

Offenbar ein Video. Zwei Stunden vor dem Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern schoben Trainer Falko Götz und Assistent Andreas Thom eine Kassette in den Rekorder. Alves flimmerte über den Bildschirm. Tolle Dribblings des 27-Jährigen im Trikot von Cruzeiro Belo Horizonte hatte das Trainerduo zusammengestellt, Tricks und Finessen obendrein. Du kannst Fußball und mit den Abwehrspielern Katz und Maus spielen, Tore schießen sonder Zahl, suggerierten sie dem Stürmer. Der staunte und verließ das Zimmer mit einem „breiten Lächeln“, wie Götz bemerkt hatte. „Da ist ein Lachen in sein Herz gekommen.“ Lachenden Herzens fand Alex Alves 120 Minuten später zu seiner Form. Vier Tore legte der Brasilianer auf. „Alves bedient sie alle“, kommentierte ein ZDF-Reporter verblüfft. Nur beim 5:1 war Alves nicht als Passgeber oder Elfmeterschinder zugegen. Marcelinho schnappte ihm den Ball weg und schob zum zweiten Mal ein.

„Wie Alex die Tore vorbereitet hat, war großartig, aber das Tor hat gefehlt“, moserte Hoeneß ein wenig. Er wollte sich keinesfalls von der Euphorie um Alves anstecken lassen. „Das ist der Maßstab, an dem er gemessen werden muss, das ist sein normales Potenzial.“ Und: „Alex muss jetzt intensiv dranbleiben, die Unterstützung hat er.“

Alves wechselte im Januar 2000 zu Hertha BSC. Der Verein investierte inklusive Gehalt die stattliche Summe von 30 Millionen Mark. Doch bald maulte die Öffentlichkeit über den „Fehleinkauf“. Einwechslungen wurden zuletzt derart kommentiert: „Ach, jetzt kommt diese Dickmadam wieder.“ Tatsächlich fiel Alves immer öfter durch Phlegma auf. Er wurde auf dem Feld wahlweise von Schüben gallopierenden Selbstmitleids oder argen Eigensinns heimgesucht. Nur mit fußballfernen Themen schrieb er Schlagzeilen: Fußpilzerkrankung, Beziehungsturbulenzen und Entzug der Fahrerlaubnis. Mit seiner kapriziösen Art und Torhemmung hatte er sich so weit ins Abseits manövriert, dass ihn Hertha – sein Vertrag läuft bis 2004 – ganz gern abgestoßen hätte.

„Ich habe schwierige Zeiten hinter mir“, sagte ein von sich überwältigter Alves, „es gab viele Probleme, ich habe sogar daran gedacht, keinen Fußball mehr zu spielen.“ Damit outete er sich einmal mehr als Spieler, dem nicht nur der Libero, sondern vor allem der eigene Trotz im Weg ist. Zum Schmollen prädestiniert sein kindliches Gemüt. Wer Alves jemals in einem Zirkuszelt erlebte, dem Treiben gebannt folgend, wird dies gern bestätigen.

Es gehört zu den Verdiensten von Herthas neuem Trainer Falko Götz, auf Alves in der richtigen Weise eingehen zu können und seine sensible Seele zu streicheln. „Wir haben in die Psychokiste gegriffen“, berichtete Götz. „Ich habe Alex klar gesagt, was ich von ihm erwarte“, verriet er den Inhalt mehrerer therapeutischer Sitzungen. „Dazu gehören auch Dinge, die nicht unbedingt seinem Naturell entsprechen.“ Er müsse auch in der Abwehr rackern und nicht nur seinem brasilianischen Kollegen Marcelinho die Pille abgeben, sondern auch mal an Preetz, Dardai oder Beinlich.

Jürgen Röber, der Vorgänger von Götz, hatte das Enfant terrible aus Salvador/Bahia für unbelehrbar befunden und es zumeist auf die Ersatzbank gesetzt, weswegen Hoeneß dem Urlauber Röber unter der Woche die frohe Kunde nach Mallorca schickte: „Ich karte nicht nach. Fakt aber ist: Röber hat einige Leute kleingeredet, vielleicht um selber etwas größer zu erscheinen.“ Götz finde hingegen den richtigen Ton. Der Gelobte freute sich: „Das ist der Alex Alves, der hier bei Hertha sicherlich noch viele Schlagzeilen bringen wird.“ Hoeneß darauf: „Hoffentlich positive.“