: Gin ohne Glasalgenhonig
Die Wahrheit-Palindrome am „Universal Day of Symmetry“ haben viele Leser inspiriert
BERLIN taz ■ Applaus, Applaus, Applaus. Viele Leser sind unserer Aufforderung in dem Beitrag „Nie grub Ramses Marburg ein“ (Wahrheit vom Mittwoch, 20. 2. 2002) nachgekommen und haben eigene, eigenartige und teilweise ganz persönliche Palindrome geschickt. Offenbar macht es wirklich großen Spaß, Buchstaben und Wörter so zu kombinieren, dass die daraus entstehenden Begriffe und Sätze auch rückwärts gelesen werden können.
Ob allerdings die eingesandten Palindrome allesamt selbst ausgedacht sind oder irgendwo aufgeschnappt und aus dem Gedächtnis hervorgekramt wurden, lässt sich schwerlich nachvollziehen. Den am häufigsten eingesandten Satz „Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie“ können wir auf keinen Fall gelten lassen; zu oft wird er in der Schule und in Wörterbüchern als Palindrom-Beispiel genannt.
Gleiches gilt für den Reliefpfeiler und das Reittier. So etwas ist lange vor dem 20. 2. 2002 um 20.02 Uhr entstanden, der „Minute der Wahrheit“ am „Universal Day of Symmetry“. Ein großartiger Moment, und Leserin Daniela F. aus H. war auf einer der vielen Pali-Partys: „Plötzlich war es egal, ob man vorwärts oder rückwärts tanzt.“ Barbli aus Marburg ist froh, von Ramses verschont zu sein, und trinkt nur noch Gläser voller „Gin ohne Glasalgenhonig“ aus dem Reformhaus. „Eins tut’s nie!“, bemerkt Barbli, aber Glasalgenhonig-Allergiker haben’s dennoch nicht leicht. Der Internist und Wahrheit-Leser Wilhelm Tekolf aus Lemgo warnt in seiner Sammlung neuer deutscher Palindrome („Pur ist Saft fast Sirup“, Internet 2002) vor den Folgen übermäßigen Genusses: „Tunke gärt stets träge, Knut.“
Just zur Wahrheit-Symmetrieminute hatten Mutter und Tochter Katharina und W.B. aus Minden eine Eingebung. Während die Mutter mit „ein Gin, oh Anna, Honig nie!“ der Lösung beträchtlich näher kam, hatte die Tochter ein kleines Problem: „Na, Fettkrem, merkt `tefan!“ funktioniert nicht. Da fehlt ein „S“ – aber der Hinweis, dass sich W.B. ein männliches Kleinkind ausgedacht hat, das noch nicht richtig sprechen kann, stimmt uns milde. „Dogma, I am God!“, meint zwar Ralf Schaper aus Kassel, aber das nützt ihm auch nichts.
Das Palindrom von Jörg Polz aus Aachen erinnert an düstere Sadomaso-Orgien: „Nag, Nutte, rege Rettung an!“ Hat man ihn zur Symmetrieminute mit Handschellen ans Bett gefesselt und den Schlüssel weggeworfen? Vielleicht hilft ihm der Tipp von Markus Schmidt-Gröttrup weiter: „Beiss nie ins Sieb!“ Aber Vorsicht, Hilfe ist kaum zu erwarten:
Das Palindrom-Talent von Wahrheit-Leser Christof Hertel beschränkt sich laut eigener Auskunft auf das Kauen von Maoam.
„Die Liebe ist Sieger, rege ist sie bei Leid“, schreibt Dieter Schobert, und das schönste Palindrom hat Klaus Bittermann geschickt. Es ist ein lateinisches und heißt: „In girum imus nocte et concumimur igni.“ Übersetzt ergibt das keinen Nonsens, sondern den poetischen Satz: „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt.“ Die Leser Thomas Meyer aus München und Bernhard König aus Hennef wiesen darauf hin, dass Palindrome sehr wohl in der Musik funktionieren.
Diplomkomponist König: „Anders als Textautoren haben Komponisten nur die begrenzte Anzahl von zwölf Tönen (plus neuerdings ein paar Geräusche und Vierteltöne) zur Verfügung. Weil die aber in den letzten 1.000 Jahren Musikgeschichte alle schon so oft benutzt wurden, ist das Bilden von Palindromen einer der beliebtesten Kunstgriffe zur Herstellung von neuer, unverbrauchter Musik. In den kompositionstechnischen Handbüchern nimmt das Palindrom – neben dem Remix, dem Remake, dem wässrigen Aufguss und dem plumpen Plagiat – eine zentrale Stellung ein. Wenn man beispielsweise irgendeinen beliebigen Techno-Titel rückwärts abspielt, klingt es grundsätzlich wie Techno (wenn gesungen wird, auch wie Ethno-Techno.)
Schon Altmeister Johann Sebastian Bach war so einfallslos, dass er sich noch nicht einmal die Mühe machte, die Musik anderer umzudrehen, sondern sich pausenlos selbst palindromierte. Martin Kappler (Dortmund) und ein paar andere Leser behaupten, dass der nächste Palindromtag nicht erst am 21. 12. 2112, sondern bereits über 100 Jahre früher am 01. 02. 2010 sei.
Das stimmt nicht wirklich: Wenn man sich das Datum 01. 02. 2010 näher anschaut, stellt man fest, dass sich zwar das gesamte Datum umdrehen lässt – die Zahlen 01. 02. und 2010 jedoch nicht einzeln. So etwas nennt man ein „einfaches“ Palindrom. Der 20. 02. 2002 und der 21. 12. 2112 sind richtige, „doppelte“, Palindrome: Wie man’s dreht und wendet, es stimmt immer.
DIETER GRÖNLING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen