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: Der Fall Mühlegg

Wenig Vertrauen ins System

Besondere Vorkommnisse bedürfen besonderer Maßnahmen. Und so war Johann Mühlegg in früher Montagnacht tatsächlich ins Olympiastudio des ZDF gekommen, um sich der deutschen Öffentlichkeit zu erklären. Wie groß der Bedarf dafür gewesen sein muss, zeigte schon die Tatsache, dass der Langläufer aus Grainau die Fragen, die es zu klären galt (und die Norbert König hartnäckig und somit erfreulich ungewöhnlich für einen ZDF-Reporter tatsächlich stellte) in seiner Muttersprache beantwortete, in Deutsch also. In den olympischen Tagen zuvor hatte Mühlegg, seit drei Jahren Spanier, das nicht getan, sondern selbst mit deutschen Reportern ausschließlich auf Englisch oder Spanisch parliert.

Juanito Mühlegg, der zum Dopingfall mutierte Langlaufkönig, hätte getrost auch in dieser frühen Montagnacht mit fremder Zunge sprechen können, zum eigenen Fall zu sagen hatte er nämlich wenig bis gar nichts, zumindest nicht Erhellendes. Die erhöhten Hämoglobinwerte, die vor dem Start zum 50-km-Rennen bei ihm festgestellt wurden? Zurückzuführen auf eine spezielle Diät und leichten Durchfall in der Nacht davor. Das Blutdopingmittel Darbepoetin alfa, das bei einer Trainigskontrolle in seinem Körper aufgespürt wurde (wie übrigens auch bei den russischen Langlaufkolleginnen Larissa Lazutina und Olga Danilowa)? Natürlich keine Ahnung, wie es da hineingekommen ist. Ob er für sich und die Zuschauer zumindest ausschließen könne, betrogen zu haben? Mühlegg: „Ich warte die B-Probe ab.“ Bei der Dürftigkeit seiner Erklärungen, muss es im Nachhinein verwundern, dass sich der 31-Jährige überhaupt vor die Fernsehkamera gewagt hat; Fragen beantwortet oder gar Zweifel an seiner Schuld gesät hat er jedenfalls nicht. Mühlegg, davon darf man getrost und schon vor Veröffentlichung der B-Probe ausgehen, hat in Salt Lake City gedopt – und er ist erstmals dabei erwischt worden.

Nun gibt es naturgemäß Stimmen, vor allem aus IOC-Reihen, die letzteren Fakt als Nachweis für die große Leistungsfähigkeit des eigenen Dopingkontrollsystems werten –und die Vehemenz, mit der Dopingsünder gejagt werden. „Dieser Fall“, tönt beispielsweise IOC-Vize Thomas Bach, „ist auch eine klare Botschaft, dass neue Dopingtrends schnell verfolgt werden.“

Das freilich muss man nicht unbedingt unterschreiben. Zwar wurde tatsächlich noch kurz vor den Spielen beschlossen, in Salt Lake City auf Nesp, so die Abkürzung für Darbepoetin alfa, das seit Juni 2001 lizensiert ist und zehnmal stärker wirken soll als das weit verbreitete und artverwandte Blutdopingmittel Epo. Auf die Liste der ausdrücklich verbotenen Mittel hat es das Teufelszeug aber nicht rechtzeitig zu Olympia geschafft, obwohl schon seit dem letztjährigen Giro d’Italia durchaus bekannt war, dass das neue Medikament, das bei Behandlung von Tumorpatienten mit Anämie Einsatz findet, als Dopingstoff missbraucht wird. Im Nachhinein muss das als Versäumnis gewertet werden – und könnte Mühlegg, der tatsächlich den ehemaligen Once-Arzt Nicolas Terrados zu seinen Betreuern zählt, durchaus juristische Winkelzüge bei einem möglichen Kampf gegen die zu erwartende Zweijahressperre sowie um die Rückgabe der aberkannten Goldmedaille ermöglichen.

Nur wenig Vertrauen in die Effizienz des Kontrollsystems weckt auch die Tatsache, dass der Wahlspanier offensichtlich seit längerem schon im Fadenkreuz der Fahnder stand, weil seine Blutwerte schon bei Tests nach Weltcuprennen erstaunlich hoch und nur knapp unter dem erlaubten Grenzwert lagen. „Wir hatten einen Verdacht“, gab der dänische Dopingexperte Bengt Saltin, in allen wichtigen Gremien des Ski-Weltverbandes FIS sowie Weltdopingagentur Wada vertreten, gegenüber der SZ zu, für einen juristisch haltbaren Nachweis reichte dieser wohl aber nicht aus. Und geradezu einem GAU der Dopingbekämpfung käme es gleich, bestätigte sich, was derzeit als Gerücht heiß gehandelt wird: Dass Mühlegg im Höhentrainingslager vor den Spielen über einen längeren Zeitraum für die Dopingfahnder der Wada nicht auffindbar gewesen sei. Dann nämlich hätte er schon lange vor Salt Lake City aus dem Verkehr gezogen werden müssen. FRANK KETTERER